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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich
Autoren: Charlie Higson
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dauerte es ein paar Minuten, bis er den großen Felsbrocken erreicht hatte. Der Boden des Sees war rutschig und uneben und einmal musste er sogar einen Bogen um eine tiefe Stelle machen, aber je näher er dem Felsen kam, desto seichter wurde das Wasser. Seine Zuversicht wuchs.
    Er suchte sich eine Stelle, an der er einen festen Stand hatte und seine Angel gut in Richtung Wasserzulauf auswerfen konnte. Dann überprüfte er noch einmal den Köder, bevor er mit einer schnellen Armbewegung die Angelschnur zuerst hinter sich schleuderte und sie anschließend kunstfertig nach vorne auswarf, sodass sie blitzschnell über die Wasseroberfläche schoss und genau an der Zulaufmündung landete.
    Dieser Teil des Unterfangens hatte sehr gut geklappt, doch von nun an verließ ihn das Glück. Er köderte nicht einen einzigen Fisch. Egal, was er auch versuchte, keiner biss an. Wieder und wieder warf er die Angelschnur aus, wechselte die Köder, versuchte es mal näher, mal weiter entfernt – nichts.
    Währenddessen wurde es immer dunkler. Bald würde er nach Hause gehen müssen. Enttäuscht unternahm er noch einen letzten Versuch. Diesmal würde er es mit einem Wurm probieren. Er hatte eine Dose mit Würmern dabei, für alle Fälle. Rasch zog er sie aus seiner Hosentasche, wählte einen hübschen, fetten Wurm aus und spießte ihn am Haken auf. Der Wurm zappelte einladend hin und her. Welcher Fisch konnte da widerstehen?
    Bei einem solchen Köder musste man behutsam vorgehen. Mit einer leichten Bewegung des Unterarms warf der Junge die Angel aus. Zu seiner Verblüffung biss sofort ein Fisch an. Kaum war der Köder im Wasser gelandet, spürte der Junge auch schon einen kräftigen Ruck. Er zog die Angel leicht an, damit der Haken sich richtig im Maul des Fisches festsetzte, und bereitete sich auf einen Kampf vor.
    Was auch immer am anderen Ende der Angel hing, es war sehr stark. Wild zerrte es mal in die eine, mal in die andere Richtung. Die Angel bog sich Richtung Wasseroberfläche. Der Junge ließ den Fisch eine Weile zappeln, damit er müde wurde, dann rollte er langsam die Schnur ein. Seine Beute jagte im Zickzack durchs Wasser und tat alles, um freizukommen. Der Junge grinste übers ganze Gesicht: Er hatte einen dicken Fisch an der Angel; so einer würde nicht so schnell aufgeben.
    Vielleicht hatte er ja sogar den berüchtigten Silverfin am Haken? Er verbrachte einige Zeit damit, die Schnur langsam aufzurollen, jedoch immer nur so weit, wie er es wagen konnte. Dabei betete er im Stillen, dass der Fisch nicht vom Haken glitt oder die Schnur riss. Das war gar nicht so einfach, denn er musste bei jeder Bewegung vorausahnen, was der Fisch als Nächstes tun würde. Doch schließlich war es so weit. Als er bereits sehen konnte, wie sich etwas am Ende der Angelschnur wand, holte er tief Luft, hob die Angel an und … sein Herz machte einen Satz.
    Es war nicht Silverfin, sondern ein Aal. Genau in dem Augenblick, als der Junge erkannte, um welchen Fisch es sich handelte, spürte er, wie etwas um seine Beine strich, und zwar so heftig, dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Er sah nach unten und bemerkte einen zweiten Aal.
    Es blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als die unerwünschte Beute einzuholen und vom Haken zu nehmen. Er zog den Fisch ganz aus dem Wasser und versuchte nach ihm zu greifen, aber der Aal schnalzte hin und her, verschlang sich zu einem Knoten, wickelte sich um die Schnur, und als der Junge ihn schließlich doch zu packen bekam, ringelte er sich um seinen Arm. Es war ein monströser Kerl, mindestens zwei Fuß lang, graubraun, kalt, glänzend und mit Schlick bedeckt.
    Der Junge hasste Aale.
    Er versuchte ihn abzuschütteln, aber das Tier war ungewöhnlich kräftig und hartnäckig und schlang sich sofort um den anderen Arm. Der Junge fluchte laut und fuchtelte so wild herum, dass er beinahe hingefallen wäre. Er ermahnte sich zur Ruhe, stapfte näher zu dem Felsen hin, schlug den Aal mit aller Kraft dagegen und hielt ihn dabei am Kopf fest. Der Fisch zappelte und zuckte wie verrückt, sein Gesicht jedoch war völlig ausdruckslos. Es war eine kalte, tote Maske, flach, mit kleinen dunklen Augen.
    Schließlich gelang es dem Jungen, den Kopf des Aals ganz still zu halten, sodass er den Haken ergreifen konnte. Ihn herauszudrehen war schwierig. Er hatte einen besonders großen ausgewählt, der vorne mit Widerhaken versehen war, damit er nicht aus dem Fischmaul glitt.
    »Komm schon«, murmelte der Junge vor sich hin.
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