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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich
Autoren: Charlie Higson
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scheußlich matschig graue Bohnen.
    »Calx?« , fragte Pritpal.
    »Ähm … oh, ja, das sind die Tore beim so genannten Wall Game , das nur hier in Eton gespielt wird.«
    »Wir sagen dazu nicht Tore, sondern Würfe. Es gibt gute Calx und schlechte Calx. «
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Regeln dieses Spiels wirklich verstehe«, sagte James. »Kriege ich dafür Minuspunkte?«
    »Keine Sorge«, beruhigte ihn Tommy Chong. »Niemand versteht die Regeln.«
    In der Tat hatte James sich gut eingelebt. Auch wenn er wohl nie Preise für seine Schularbeiten einheimsen würde, so war er doch ein kluger Kopf und besaß eine gute Beobachtungsgabe. Als er erst einmal begriffen hatte, wie der Unterricht ablief und was man im Schulalltag beachten musste, fand er sich rasch in die Routine ein. Und obwohl er ein halbes Jahr später als die anderen Neulinge angefangen hatte, konnte er recht gut mit ihnen Schritt halten.
    Wie die meisten Jungen war er nicht sonderlich erpicht aufs Lernen, gleichzeitig wurde ihm bewusst, wie gut seine Tante ihn unterrichtet hatte. Abgesehen von Latein, das er hasste, fand er viele Fächer sogar viel zu leicht. Die Französischstunden waren gähnend langweilig, denn er beherrschte diese Sprache ebenso gut, wie er Englisch sprechen konnte. Das kam daher, dass seine Mutter Schweizerin gewesen war und er die Hälfte seiner Kindheit in der Schweiz verbracht hatte. Ebenso fließend sprach er Deutsch, allerdings gab es keinen Deutschunterricht an der Schule. Um nicht aus der Übung zu kommen, unterhielt er sich gelegentlich mit einem deutsch-jüdischen Jungen namens Freddie Meyer, der mittlerweile zu seinem weiteren Freundeskreis gehörte.
    Dennoch fühlte sich James als Außenseiter. Er hatte den Schuljargon gelernt, er trug die Schuluniform, aber er gehörte nicht dazu. Daran gewöhnt, auf sich allein gestellt zu sein, empfand er die vielen Menschen, denen er in der Schule auf Schritt und Tritt begegnete, immer noch als seltsam.
    Gleiches galt für die Regeln.
    Für die zahllosen Regeln und Traditionen.
    James hasste Regeln.
    Den Großteil des Tages verbrachtet er zwar allein in seinem Zimmer beim Lernen. Aber davon abgesehen konnte er kaum einen Schritt in Eton tun, ohne sich darüber im Klaren zu sein, dass vor ihm schon tausende von Schülern genau diesen Schritt getan hatten und er verpflichtet war, ihn auf die gleiche Art zu tun wie sie.
    »Du bist gut gerüstet, James«, sagte Pritpal. »Der Test dürfte für dich kein Problem sein.«
    »Es ist die reinste Schwerstarbeit«, klagte James und strich Butter auf eine Scheibe Brot. »Ich komme nicht aus einer Etonfamilie. Mein Vater besuchte eine Schule in Schottland, die Fettes heißt.«
    »Von der habe ich schon gehört«, sagte Pritpal. »Da soll es sehr hart zugehen.«
    »Du erzählst wohl nicht gerne von deiner Familie, was?«, sagte Tommy.
    »Nein«, erwiderte James tonlos.
    »Umgibt sie etwa ein Geheimnis, über das wir Bescheid wissen sollten?«, fragte Pritpal und lächelte bedeutungsvoll.
    »Ich wette, es sind Verbrecher«, mutmaßte Tommy. »Deine Eltern sitzen im Gefängnis und du schämst dich, darüber zu reden.«
    »Nein, jetzt weiß ich es«, sagte Pritpal. »Sie sind Geheimagenten Ihrer Majestät und arbeiten als Spione.«
    »Nein«, sagte Tommy. »Ich hab’s. Sie sind durchgeknallte Wissenschaftler, die eine Weltraumrakete entwickelt haben und damit zum Mond geflogen sind.«
    »Es gibt kein Geheimnis«, widersprach James kurz angebunden. »Ich bin ein ganz normaler Junge wie ihr auch.«
    »Das bist du nicht «, sagte Pritpal. »Bei deinem endlosen Gerenne. Es gehört sich einfach nicht, wie ein Gestörter durch die Gegend zu rasen.«
    Es stimmte. Trotz des umfangreichen Sportangebots in Eton, das von Rugby über Fußball bis zu Squash reichte, bevorzugte James es, zu laufen. Mannschaftssport war nicht nach seinem Geschmack, der Langstreckenlauf hingegen kam seiner eigenbrötlerischen Natur entgegen. Zugleich entfremdete er ihn aber noch weiter von den anderen Schülern.
    »Welchen Sinn hat es, zu rennen?«, sagte Pritpal. »Du bist ein ausgezeichneter Sportler, James. Du solltest dich anderswo engagieren …«
    James wollte gerade eine Antwort geben, als sie etwas hörten, das alle Unterstufenschüler fürchteten. Es war ein lang gezogener Ruf.
    »B-o-o-o-y-s!«, erscholl es vom oberen Treppenabsatz.
    Das war der so genannte Boy Call . Die drei ließen alles stehen und liegen, rasten aus dem Zimmer, den Korridor entlang, eine
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