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Stille Wasser sind toedlich

Stille Wasser sind toedlich

Titel: Stille Wasser sind toedlich
Autoren: Charlie Higson
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nennt man einen Jungen, der keines von beiden tut?«
    »Einen Faulpelz.«
    James schüttelte den Kopf und lachte. Zusammen mit seinen beiden Tischgenossen Pritpal und Tommy Chong saß er beim Abendessen in seinem Zimmer. Tommy war ein schmächtiger, aber robuster Junge aus Hongkong, der Streitgespräche liebte, Karten spielte und den umfangreichsten Wortschatz an Flüchen besaß, den James je gehört hatte. Alle drei hatten es sich mit den Tellern auf den Knien am Kamin gemütlich gemacht, um wenigstens ein bisschen Wärme abzubekommen.
    Es gab nur jeden zweiten Tag neue Kohlen und der heutige Abend zählte zu den »heißen« Tagen. An den kalten Tagen war es in den Zimmern eisig und James würde sich wohl nie daran gewöhnen, die Hälfte der Zeit bis auf die Knochen zu frieren. In den Unterrichtsräumen war es nicht viel besser: Sie waren alle nicht beheizt und viele Schüler trugen während des Unterrichts Handschuhe.
    Pritpal und Tommy waren gerade dabei, James die etwas ungebräuchlicheren Begriffe der Eton-Sprache zu erklären, damit er für den anstehenden Colours Test gut gerüstet war. Bei dieser Prüfung mussten die Neuankömmlinge unter Beweis stellen, dass sie sich in der Schule zurechtfanden.
    »Mesopotamia?« , fragte Pritpal.
    »Das kenne ich«, sagte James. »Heißt so nicht das Cricket-Feld?«
    »Im Sommer wird dort Cricket gespielt, im Winter Fußball«, erklärte Pritpal.
    Mittlerweile kannte James Pritpal recht gut. Er war der Sohn eines Maharadschas, ein Genie in Mathe und Physik und völlig uninteressiert an allen anderen Dingen – mit Ausnahme von Essen.
    James hatte es sich in einem Korbstuhl bequem gemacht und widmete sich ganz seinem Abendessen. Der Stuhl war seine jüngste Anschaffung. In den paar Wochen, die James an der Schule war, hatte er es fertig gebracht, sein Zimmer in ein kleines Zuhause zu verwandeln. Er hatte Bilder aufgehängt: eine ziemlich wilde Darstellung einer Seeschlacht, ein Porträt von König George und das farbenfrohe Gemälde einer heißen, sonnigen Südseeinsel. Darüber hinaus hatte er das eine oder andere Möbelstück erstanden, wovon die Ottomane, auf der Pritpal gerade lümmelte, sich als besonders nützlich erwiesen hatte. Es war eine längliche Truhe mit gepolsterter Sitzfläche, die ein wirres Durcheinander an Habseligkeiten barg: Kleidungsstücke, Sportzeug, vor allem aber Süßigkeiten, Kekse und so manche andere Leckerei.
    »Und was sind Pops ?«, fragte Tommy Chong.
    »Das sind Aufsichtsschüler, nicht wahr?«
    »Ja«, bestätigte Pritpal.
    James hatte rasch gelernt, dass in erster Linie die Jungen selbst für die Disziplin an der Schule verantwortlich waren. Ältere Schüler übernahmen die Aufgabe, die jüngeren zu beaufsichtigen. Sie waren auf den ersten Blick an ihren farbigen Westen zu erkennen und daran, wie sie voller Stolz herumspazierten. Die Oberstufenschüler, die mit der Aufsicht über ein Internatshaus betraut wurden, bezeichnete man als Library . Ihre Befugnisse waren sehr weit gefasst. Sie konnten einen jüngeren Schüler sogar schlagen, wenn sie der Ansicht waren, dass sein Benehmen zu wünschen übrig ließ. Zum Glück war James das bisher erspart geblieben.
    »Weißt du über deine Scheine Bescheid?«, fragte Tommy Chong.
    »Ich glaube schon …« James konzentrierte sich und ging im Geiste die verhassten Zettel durch, die sein Leben in Eton beherrschten. Es gab Haus-Scheine, die man unterschreiben lassen musste, wenn man abends noch einmal das Haus verlassen wollte. Außerdem gab es auch noch Absenz-Scheine, wenn man das Schulgelände für längere Zeit verlassen wollte. Es gab weiße Scheine, wenn man etwas falsch gemacht hatte, und gelbe Scheine, wenn man etwas sehr, sehr, sehr falsch gemacht hatte.
    Sie aßen Spiegeleier und Würstchen, die sie sich draußen im Gang unter den wachsamen Augen des Hausmädchens auf dem kleinen elektrischen Kocher zubereitet hatten. Alle Schüler versorgten sich mit zusätzlichen Lebensmitteln in den schuleigenen Geschäften oder bei Jack’s oder Rowland’s in der Stadt; das war auch bitter nötig, um nicht den Hungertod zu sterben, denn die Mahlzeiten, die Codrose ihnen vorsetzte, waren so gut wie ungenießbar. Wie gut oder wie schlecht das Essen in den einzelnen Häusern war, bestimmte der Haustutor, und Codrose wurde nachgesagt, in dieser Hinsicht der Schlimmste von allen zu sein. Das Mittagessen an diesem Tag hatte aus einem Stück zähen Fleisches bestanden, dazu wässrige, gekochte Kartoffeln und
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