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Sterntagebücher

Sterntagebücher

Titel: Sterntagebücher
Autoren: Stanislaw Lem
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Knüppel versetzt. Aber, so dachte ich mir, selbst wenn er log, daß er der vom Sonntag sei, so ist es doch möglich, daß er später ist als ich, und wenn er später ist, kann er sich an all das erinnern, was ich weiß, und somit weiß er schon, daß ich den vom Freitag belogen habe, also kann er mich auf die gleiche Art und Weise betrügen, weil das, was meine Kriegslist war, für ihn einfach nur eine Erinnerung ist, aus der er ungehindert Nutzen ziehen kann. Während ich noch schwankte, was zu tun sei, hatte er den Rest der Schokolade aufgegessen und war unter dem Bett hervorgekrochen.
      »Wenn du der vom Sonntag bist, wo steckt dann der Skaphander?« rief ich, von einem neuen Gedanken beseelt.
      »Gleich werde ich ihn haben«, sagte er ruhig, und plötzlich bemerkte ich in seinen Händen einen Knüppel… Vor meinen Augen zuckte ein Blitz auf, als wäre ein Dutzend Supernovas auf einmal explodiert, danach verlor ich das Bewußtsein. Als ich zu mir kam, saß ich auf dem Fußboden im Bad. Jemand schlug an die Tür. Ich begann, meine blauen Flecken und Beulen zu verbinden, aber jener pochte noch immer. Es stellte sich heraus, daß das der vom Mittwoch war. Ich zeigte ihm nach einer Weile meinen zerbeulten Kopf, und er ging mit dem vom Donnerstag das Werkzeug holen, dann gab es ein Hin und Her, ein Zerren am Skaphander, schließlich hatte ich auch das irgendwie überlebt und kroch am Sonnabendabend unters Bett, um festzustellen, ob da im Koffer nicht ein Stück Schokolade sei. Als ich gerade die letzte Tafel aufaß, die ich unter den Hemden entdeckt hatte, zog mich jemand am Bein. Das war nun schon weiß Gott wer, aber auf alle Fälle schlug ich ihm mit dem Knüppel auf den Kopf, zog ihm den Skaphander aus und wollte ihn gerade anlegen, da geriet das Raumschiff in den nächsten Strudel.
      Als ich das Bewußtsein wiedererlangte, war die Kajüte voller Menschen. Man konnte sich darin kaum bewegen. Wie es sich herausstellte, waren alle ich, von verschiedenen Tagen, Wochen, Monaten, und einer stammte angeblich sogar aus dem künftigen Jahr. Eine Anzahl Personen hatte Beulen und ein blaues Auge, und fünf der Anwesenden trugen einen Raumanzug. Doch anstatt sofort durch die Klappe zu gehen, um den Schaden zu beheben, begannen sie zu streiten, zu feilschen, zu diskutieren und zu zanken. Es ging darum, wer wen und wann geschlagen hatte. Die Lage war erstens dadurch kompliziert, daß nunmehr auch solche vom Vormittag und vom Nachmittag auftraten und ich fürchten mußte, daß, falls es so weiterginge, ich mich in Minuten- und SekundenTichys aufspalten würde; zweitens logen die meisten Anwesenden wie gedruckt, so daß ich wirklich bis heute noch nicht weiß, wen ich geschlagen habe und wer mich geschlagen hat, als sich jene Dreiecksgeschichte zwischen dem vom Donnerstag, vom Freitag und vom Mittwoch, die ich der Reihe nach gewesen war, ereignet hatte. Ich habe den Eindruck, daß ich dadurch, daß ich den vom Freitag selbst belogen hatte, indem ich mich für den vom Sonntag ausgab, eins mehr abbekommen habe, als es der Kalenderrechnung nach erforderlich gewesen wäre. Aber ich ziehe es vor, nicht mehr in Gedanken zu jenen unangenehmen Erinnerungen zurückzukehren, denn ein Mensch, der eine ganze Woche lang nichts anderes getan hat, als sich selbst zu schlagen, hat wenig Anlaß, stolz darauf zu sein.
      Die Zwistigkeiten gingen unterdessen weiter. Verzweiflung erfaßte einen beim Anblick solcher Untätigkeit und Zeitverschwendung, während das Raumschiff blindlings vor sich hin raste und immer wieder in kosmische Gravitationsstrudel geriet. Zu guter Letzt schlugen sich jene in Raumanzügen mit denen ohne Raumanzug, Ich versuchte, eine Ordnung in dieses nun schon völlige Chaos hineinzubringen. Schließlich glückte es mir, nach schier übermenschlichen Anstrengungen so etwas wie eine Versammlung zu organisieren, wobei der vom künftigen Jahr, gewissermaßen als der Älteste, durch Zuruf zum Vorsitzenden bestimmt wurde.
      Dann wählten wir noch eine Untersuchungskommission, einen Betreuungsausschuß und einen Ausschuß für freie Eingaben; vier vom künftigen Monat wurden mit dem Ordnungsdienst betraut. In der Zwischenzeit passierten wir jedoch einen negativen Strudel, der unsere Zahl bis auf die Hälfte herabminderte, so daß bei der einleitenden geheimen Abstimmung das Quorum fehlte und vor der Wahl der Kandidaten für die Reparatur der Steuerungsvorrichtung das Statut geändert werden mußte. Die Sternkarte
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