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Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne

Titel: Sterne über Sansibar - Vosseler, N: Sterne über Sansibar - Die diamantene Zisterne
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Badehäuser zu, die das äußerste Ende der Palastanlage von Beit il Mtoni bildeten. Die Orangenbäume, die die aschrosa Fassaden unter ihren staubbraunen Walmdächern in dichten Reihen säumten, waren ihr Ziel.
    Eingehüllt in den honigsüßen Duft der weißen Blüten und außer Atem, schlängelten sie sich zwischen den glattborkigen Stämmen hindurch, bis sie ihren Lieblingsbaum erreicht hatten: ein besonders altes, ausladendes Exemplar, dessen unterste Zweige unter ihrer goldkugeligen Last beinahe den Boden berührten. Wie üblich war es Salima, die als Erste den Fuß in die Gabelung des Stammes setzte und sich behände wie ein Äffchen im schattigen Geäst emporhangelte, dicht gefolgt von Metle, die immer wieder innehielt, um Ralub eine helfende Hand entgegenzustrecken.
    »Dafür bekommen wir bestimmt doppelt Haue«, schnaufte Metle, als sie rittlings auf einem Ast zu sitzen kam.
    »Nicht wir «, widersprach Ralub in der ihm so eigenenGemütsruhe. Sein rundliches Hinterteil hatte er bequem in einer Astgabel platziert; er baumelte mit den nackten Beinen unter dem bis an die Knie hochgezogenen Gewand und war schon dabei, die erste Orange zu schälen. »Nur Salima. Die Hiebe, die sie fürs Schwatzen hätte kriegen sollen, und noch welche fürs Weglaufen. Wir höchstens ein, zwei dafür, dass wir ihr nach sind.« Die Schalenstücke ließ er achtlos fallen, bohrte den Daumen in die safttriefende Frucht, um sie in grobe Stücke zu reißen, und stopfte sich den Mund voll.
    »Pah«, machte Salima auf ihrem Ast, verschränkte die Arme und blies sich die Ponyfransen aus der erhitzten Stirn. »Das wagt sie nicht! Sonst sag ich’s Vater!«
    »Vater besteht darauf, dass wir Lehrerinnen, Erziehern und allen Dienern stets Gehorsam und Respekt zollen.« Metles Worte klangen, als zitiere sie aus einem Lehrbuch.
    »Genauso wichtig findet er Gerechtigkeit – und das war einfach nicht gerecht von ihr«, sagte Salima trotzig. »Wenn mich Azina was fragt – soll ich dann so tun, als wär ich taub und stumm? Und die Lehrerin weiß doch, dass ich diese Sure auswendig kann; viermal hat sie uns die schon hersagen lassen. Mich dann trotzdem nach vorn zu befehlen und den Stock zu erheben – das ist so ungerecht! Immer hat sie’s auf mich abgesehen …« Salima redete sich immer weiter in Wut, bis ihre Wangen sich röteten und ihre dunklen Augen funkelten.
    Die Schule, in die sie seit dem vergangenen Jahr ging, war ihr zutiefst verhasst. Den ganzen Vormittag mit untergeschlagenen Beinen auszuharren, wie auf den weißen Bodenmatten festgewachsen, schweigend zuzuhören und nur zu reden, wenn sie dazu aufgefordert wurde, das bedeutete für Salima ungleich größere Pein als der Stock. Die paar Streiche mit dem Bambusrohr gingen schnell vorüber, doch was danach kam, versprach doppelte Folter: auf dem brennenden Hinterteil den Rest der Schulstunde weiterhin reglos abzusitzen. Und weilSalima keine halben Sachen machte, hatte sie einmal mehr die Gelegenheit beim Schopf gepackt und einfach die Beine in die Hand genommen.
    »Wenn Vater hört, dass sie uns nicht im Zaum hat, schickt er sie bestimmt zurück in den Oman.« Metles feine Züge verzogen sich kummervoll. »Dann entlässt er sie womöglich ganz aus seinen Diensten, und dann weiß sie nicht, wie sie ihr Brot verdienen soll. Und wir sind schuld.«
    »Geschieht ihr recht!«, grollte Salima und pendelte zornig mit den Beinen. »Deshalb ist sie bestimmt auch so gemein. Sie hält sich für was Besseres, weil sie aus dem Oman kommt und von rein arabischem Blut ist.« Sie schnaufte wütend auf und kickte so heftig in das Blattwerk, dass sich eine Orange von ihrem Stängel löste, durch das ledrige Laub rauschte und mit einem satten Thunk! auf dem Boden aufschlug.
    Ralubs Augen, die während dieses Wortwechsels beständig zwischen Salima und Metle hin und her gewandert waren, folgten betrübt der verschwundenen Orange, bevor er sich kurz über die klebrigen Finger leckte und dann die nächste abzupfte, wobei er sich sichtlich unwillig danach strecken musste.
    »Nachher hast du wieder Bauchweh«, schalt Metle ihn, doch Ralub zuckte nur die Achseln, pellte die Frucht und schob sich den nächsten Brocken tropfenden Fruchtfleisches in den Mund. Erst dann setzte er zu einer Erwiderung an, doch Metle kam ihm zuvor.
    »Ssschtt«, machte sie mit großen Augen. »Da kommt wer!«
    Die drei spitzten die Ohren. Ralub vergaß für einen Augenblick sogar das Kauen. Von den Badehäusern drangen Laute
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