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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer
Autoren: Constanze Kleis
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Mittag. Vielleicht können sie dort nicht mehr Personal finanzieren. Aber: Wenn ich höre, wie viel ein Platz kostet und wie die Menschen darin dahinvegetieren, das ist eine Schande. Es gibt kein besseres Wort dafür.
    Wie haben Sie Ihre Alternative gefunden?
    Zunächst über Empfehlungen von Nachbarn. Am Anfang half eine über 60-jährige Krankenschwester aus Polen. Die war schon brutal, muss man sagen. Sie hat Adelheid auch schon mal mitten im Winter zum Rauchen auf den Balkon gesetzt. Ob meine Frau nun wollte oder nicht. Ich konnte ja nicht eingreifen, weil ich noch arbeiten gegangen bin. Ein weiteres Problem: Sie sprach überhaupt kein Deutsch. Das war sehr schwierig. Man muss viel Glück haben, und das haben wir jetzt seit vielen Jahren mit Ewa.
    Ist es nicht schwierig, nie mehr allein sein zu können? Es ist ja immer jemand in der Wohnung, der gar nicht zur Familie gehört?
    Am Anfang war es für uns schon gewöhnungsbedürftig, immer jemand im Haus zu haben, ob man sich nun versteht oder nicht. Aber Ewa ist längst wie ein Familienmitglied. Sie hat hier ihr eigenes Zimmer. Nach ihren Wünschen eingerichtet. Mit Fernseher und polnischen Programmen. Wir verstehen uns sehr gut. Machen auch Spaziergänge zusammen oder gehen Pilze sammeln, wenn Saison ist.
    Wie läuft so ein Pflegetag bei Ihnen daheim ab?
    Wir fangen morgens um halb zehn an. Dann nehmen wir als Erstes die alten Pampers weg, dann waschen wir Adelheid den unteren Körper. Wir ziehen sie an, setzen sie in den Rollstuhl und fahren sie ans Waschbecken. Dort werden die Zähne geputzt, dann wird auch der Oberkörper gewaschen und sie wird frisiert. Dann kommt das Frühstück: Brot, Kaffee und eine Zigarette. Danach schaut Adelheid fern, während wir schon das Mittagessen vorbereiten. Manchmal essen wir ja schon vor 12 Uhr.
    Warum so früh?
    Dienstag und Donnerstag bekommt Adelheit schon um 12 Uhr Gymnastik. Freitags hat sie auch Gymnastik. Aber erst um 14 Uhr. Und dann muss man immer beachten, wie stark das Essen gekaut werden muss. Wenn es da viel zu beißen gibt, müssen wir auch dafür Zeit einkalkulieren. Ebenso wie für die Zigarette. Adelheid raucht. Sie hat es zwar schon sehr eingeschränkt. Aber sie soll nicht ganz auf das Vergnügen verzichten. Es ist das Einzige, was sie noch hat. Auch wenn man ihr die Zigarette mittlerweile anreichen muss, weil sie sie selbst nicht mehr halten kann.
    Haben Sie wenigstens nachmittags ein bisschen Pause?
    Meine Frau schläft bis etwa 16 Uhr. In der Zeit mache ich Erledigungen. Wenn meine Frau aufwacht, bekommt sie erst mal neue Pampers. Sie wird gekämmt, trinkt Kaffee und raucht wieder eine Zigarette. Um sechs gibt es wieder eine und etwas zu essen. Um sieben, um acht und um neun jeweils wieder eine Zigarette. Wir schauen gemeinsam fern, meist etwas, das gegen 21:45 Uhr zu Ende ist. Es dauert nämlich eine Weile, sie ins Bett zu bringen.
    Warum?
    Da gibt es noch so viel zu tun: Zähne putzen, Gesicht waschen, das Nachthemd anziehen. Das ist schwer, wenn ein Mensch kaum noch Körperspannung hat. Adelheid wiegt sehr viel. Für das meiste muss man deshalb zu zweit sein. Allein schafft das keiner mehr. Nach der Abendtoilette bringen wir meine Frau ins Schlafzimmer, ziehen ihr das Nachthemd an, und dann kommt etwas, das mag jetzt für sehr zart besaitete Gemüter etwas viel Realismus sein. Aber das gehört eben auch dazu: Adelheid kommt in einen Lifter. Das heißt, sie bekommt Gurte um die Beine, um den Rücken und wird dann so eingehängt. Und dann ziehen Ewa und ich uns Latexhandschuhe an und holen ihr mit den Fingern den Kot aus dem Darm. Ich weiß, das klingt drastisch. Aber es geht nicht anders. Meine Frau müsste sonst stundenlang auf der Toilette sitzen und würde dabei die ganze Zeit im Lifter hängen. Dabei wird ihr Körper komplett zusammengedrückt. So ist das eine Sache von zwei Minuten. Dann hat Adelheid Ruhe. Bis das alles erledigt ist, ist es meist schon 22:30 Uhr.
    Haben Sie auch mal Zeit für sich?
    Eigentlich nur früh am Morgen vor dem Frühstück. Dann fahre ich Fahrrad, gehe danach an die Tankstelle und trinke einen Cappuccino, bevor es wieder losgeht.
    Sitzen Sie nicht auch mal einfach gemeinsam am Tisch und sprechen miteinander?
    Nein. Adelheid hat kein Interesse mehr an Gesprächen. Sogar wenn mein Sohn doch mal gelegentlich kommt und sein Kind mitbringt, ist meine Frau beinahe froh, wenn die Familie wieder geht. Meine Frau hatte kürzlich einen runden Geburtstag, da wollte sie auch
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