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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer
Autoren: Constanze Kleis
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Ich habe da ein ganz gutes Pflegeheim gefunden. Hoffe ich. Es geht nicht anders.
    Wer wird Sie einmal pflegen?
    Ich weiß es nicht. Ich versuche einfach, mir darüber keine Gedanken zu machen.
    Interview mit Ewa P.
    Seit Jahren hilft sie Klaus W. bei der Betreuung von Adelheid, seiner schwerkranken Frau. Ewa P. und ich unterhalten uns auf Deutsch. Das ist nicht ganz fair, weil sie es zwar ganz gut spricht, aber sich natürlich auf Polnisch sehr viel besser ausdrücken könnte. Dass ich nicht mit einem Dolmetscher angereist bin, liegt daran, dass sich dieses Gespräch zufällig ergibt. Später kann man es nicht mehr vertiefen, weil Klaus W. erneut ins Krankenhaus kommt und keine Zeit mehr bleibt für ein Treffen.
    Wieso sind Sie nach Deutschland gekommen?
    Anfangs wollte ich mir Geld zu meinem Studium dazuverdienen. Ich war schon über 40 Jahre alt und wollte noch einmal Sonder- und Heilpädagogik studieren.
    Kannten Sie sich aus mit der Pflege?
    Ja, ich hatte jahrelang meine Oma gepflegt, bis sie mit 103 Jahren gestorben ist.
    Haben Sie keine Familie?
    Doch, einen Mann und zwei Kinder. Als ich gegangen bin, waren die Kinder aber schon älter und mein Mann arbeitete bereits in Köln. Ich dachte ja sowieso, ich mache das nur kurz, bis ich genug Geld zusammenhabe.
    Wie sind Sie an Ihre jetzige Stelle gekommen?
    Eine Cousine hat mir davon erzählt. Erst hatte ich Bedenken, als ich hörte, dass ich zu einem Mann und einer pflegebedürftigen Frau ziehen sollte. Wegen des Mannes. Aber meine Cousine sagte, wenn es mir nicht gefiele, könnte ich jederzeit nach Hause. Also habe ich es probiert.
    Offenbar ist es ja ganz gut gelaufen. Sie sind ja jetzt schon einige Jahre hier.
    Ja. Ich habe mich gleich sehr gut mit Adelheid verstanden. Und Klaus war am Anfang ja ohnehin nie zu Hause. Er hat sehr viel gearbeitet. Als ich dann mein Diplom hatte, wollte ich ja eigentlich aufhören. Aber dann hat mein Sohn geheiratet, hat eine Wohnung gekauft. Meine Tochter hat ein Studium begonnen. Also brauchte ich wieder Geld. Jetzt könnte ich eigentlich nach Hause, aber Klaus hat mich gebeten, ihm zu helfen. Also bin ich geblieben.
    Was ist, wenn Sie mal nach Hause fahren?
    Dann kommt eine Vertretung, die ich erst einarbeiten muss. Einmal ist eine Frau einfach nicht gekommen. Klaus musste deshalb eine Operation verschieben. Eine ist einfach ohnmächtig geworden und wollte gleich wieder heim. Mein Bus war noch nicht abgefahren, als Klaus mich anrief, konnte ich zurückkommen. Klaus kann Adelheid längst nicht mehr allein betreuen.
    Ihre Arbeit ist ja ungeheuer schwer und sehr intim. Wie schaffen Sie das?
    Das größte Problem ist, dass Adelheid so schwer ist. Manchmal kann ich sie kaum noch halten oder bewegen. Allein geht es gar nicht. Am Anfang hatte ich oft auch Angst, dass ich etwas falsch mache. Zum Beispiel abends, wenn wir sie entleeren. Aber jetzt geht das.
    Haben Sie Kontakt zu anderen Frauen, die ebenfalls in Deutschland in der Pflege arbeiten?
    Ja. Aber unsere Aufgaben sind sehr unterschiedlich. Eine pflegt einen alten Mann, der noch gut läuft, und sie hat sehr viel Zeit. Eine andere versorgt eine alte Dame, die Alzheimer hat und die man nicht allein lassen kann.
    Wieso sind Sie noch da?
    Ich will Adelheid und Klaus helfen. Jetzt ist Klaus selbst sehr krank. Ich habe ihm schon so oft gesagt, er soll in Urlaub fahren und ich bleibe allein hier. Aber er will das nicht.

Sterben Sie bloß nicht mittwochs
    Sie will uns unbedingt etwas sagen. Aber ihre Stimme ist schon zu schwach. Obwohl mein Ohr fast ihren Mund berührt, ist sie nicht zu verstehen. Ich gebe ihr einen Stift, aber sie bringt nur ein paar schwache Kringel auf das Papier. Nun schreibe ich das Alphabet auf. Sie soll mir die Buchstaben zeigen. Dazu kommt es nicht mehr. Wir werden nicht mehr erfahren, was es war, das meine Mutter uns noch sagen wollte. Denn in dem Moment klingelt es an der Tür, kommt der Notarzt. Er war vor einer Stunde schon mal da. Meine Mutter hatte plötzlich Krampfanfälle und schlimme Atemnot. »Todesrasseln!«, sagt meine Schwester. Sie hat sich in die Symptomatik des Sterbens eingearbeitet: Die mangelnde Sauerstoffversorgung lässt die Haut wie marmoriert erscheinen, besonders an den Stellen, wo die Haut aufliegt, bilden sich Flecken. Die weiße Nasenspitze, der blasse und bläuliche Teint.
    »Ihre Mutter stirbt!«, hatte der Arzt gesagt. »Wir könnten sie noch ins Krankenhaus bringen, wenn Sie das wollen?« Auf keinen Fall wollen wir das. Aber
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