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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer
Autoren: Constanze Kleis
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Schlaganfall ganz oder teilweise rückgängig machen. Das Mittel darf aber nicht später als viereinhalb Stunden nach Beginn des Schlaganfalls verabreicht werden. Um festzustellen, ob noch etwas zu retten ist, müsste man eine Kernspintomografie machen. Die Klinik hat ein entsprechendes Gerät, aber nicht genug Personal, um es rund um die Uhr zu betreiben. Und es ist 3.30 Uhr morgens. So wird die 70-jährige Frau ein Pflegefall. Der Arzt lässt sich von der Reha den Entlassungsbrief kommen. Daraus geht hervor: »Sie stammelt immer wieder dieselben Silben, versteht offenbar nur Bruchstücke. Ihre rechte Körperhälfte ist gelähmt, sie kann nur mit Hilfe aufgesetzt werden. Oft sitzt sie stundenlang reglos da.« Der Arzt erinnert sich: »Ihr Mann erzählte, dass sie vor dem Schlaganfall dreimal die Woche für ihre Enkel gekocht habe. Im Winter waren sie noch gemeinsam Langlaufen. In einer gut ausgerüsteten Klinik hätte sie eventuell eine Chance gehabt, wieder in dieses Leben zurückzukehren. Jetzt hat sie Pflegestufe  III . Während unser Haus effizienter wurde, sind anderswo höhere Kosten entstanden.« [103]
    Denken wir wirklich, wir sind nicht diese Frau? Woher kommt dieser so übermächtige Drang zu ignorieren, was längst Fakt ist? Diese fast panische Suche nach Notausgängen? Nach Distanzierungsmöglichkeiten? Diese unendliche Erleichterung, wenn man sagen kann: Wie traurig, da hat jemand großes Pech gehabt! Oder: Da wird einer nicht mit dem Tod eines geliebten Menschen fertig und sucht einen Sündenbock. Ich denke: Würden wir hinsehen, müssten wir akzeptieren, dass wir bald genauso hilflos und ohnmächtig sein werden. Dann würden wir erleben, wie furchtbar schnell unsere ziemlich selbstherrliche und auch egozentrische Vorstellung von Freiheit und Autonomie an ihre Grenzen stößt. Wir alle werden krank, alt und abhängig, werden irgendwann aus dem Leben, von dem wir dachten, es würde ewig so weitergehen, herausgerissen. Auch wenn diese Nachricht unseren Größenwahn enorm beleidigt. Umso mehr bei der Aussicht, wir könnten selbst beim Sterben noch bloß das Nutzvieh des Shareholder Value sein. Treibgut, das mal hierhin, mal dorthin geschoben wird. Je nachdem, woher der Marktwind gerade weht. So möchte sich wirklich keiner gern sehen. Ich kann das verstehen. Mir geht es ganz genauso. Aber ich weiß nun auch: Exakt so wird es kommen. Nur weil wir uns heute von unserer Angst vor dem Tod bestimmen lassen und deshalb nicht handeln. Darum zum Schluss noch zwei Nachrichten. Die schlechte zuerst: Wir sind Menschen, wir sterben. Die Gute: Noch können wir Einfluss darauf nehmen, unter welchen Umständen. Fangen Sie am besten gleich jetzt damit an.
    *
    »Wo du warst, war es schön!« Das stand in der Traueranzeige meiner Mutter. Jetzt denken wir: Überall dort, wo es schön ist – im Park hinter unserem Haus, am Wattenmeer von Keitum, nachts, wenn der Himmel klar ist und man alle Sterne sieht, im Garten meiner Eltern, wenn der Apfelbaum blüht, der sich seit Jahren weigert, mehr als einen Apfel zu produzieren, auf einer Sommerwiese mit Kornblumen und Klatschmohn, da ist immer auch sie. Irgendwie. Das ist tröstlich. Manchmal.

Dank
    An meinen Vater, meine Lieblingsschwester, meinen Bruder, meinen Mann, weil Liebe für sie ein so groß geschriebenes Tu-Wort ist. An Susanne aus denselben Gründen, für all die Unterstützung, den Trost, die Geduld, für ihr so großes Herz, ihre klugen Anregungen und einfach, weil ich weiß, das bleibt. Überhaupt: danke an meine Freundinnen, die immer da waren, mitfühlten, aber auch mitdachten, und die mir gezeigt haben, wie dehnbar und gleichzeitig exklusiv der Begriff ›Familie‹ sein kann. An Cornelia A., Inge G., Klaus W., Ewa P., Birgit K. und an all die anderen Menschen, die mir ihre Geschichte erzählt haben, für ihr Vertrauen. Dank auch an den so freundlichen und weitsichtigen Notar a. D. und Dr. Bernd Hontschik für die wertvolle Unterstützung, und weil er zeigt, dass Ärzte noch immer ganz anders können. Und natürlich Dank an meine Lektorin Tanja Rauch, die gleich wusste, worum es geht, und ohne die es dieses Buch nicht gäbe.
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