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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer
Autoren: Constanze Kleis
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Nachttischchen für Ursula und ihre Freundin. Sie werden das Dachgeschoss im Hause meiner Eltern beziehen. Meine Schwester hat alles hübsch hergerichtet. Ich bestelle noch ein Deutsch-Polnisch-Wörterbuch, einen Deutsch-Kurs für die beiden Frauen im Internet und beauftrage ein Übersetzungsbüro mit einem Willkommensschreiben für die neuen Mitbewohnerinnen. In zehn Tagen werden sie vor unserer Tür stehen, »so gegen 17 Uhr«, hatte Weronika gesagt.
    Meine Mutter, die kaum noch sprechen kann, flüstert mir abends zu, sie glaube ja, es werde meinem Vater so gar nicht gefallen, wenn da eine fremde Frau im Haus … Ich weiß, sie meint, es gefällt ihr eigentlich nicht. Auch das soll sie nun noch hergeben: ihre Privatsphäre in ihren eigenen vier Wänden. Am Ende des Lebens bleiben so wenige Dinge – aber gerade die sind besonders kostbar: die Nähe zu anderen Menschen, Liebe, Vertrauen, gemeinsam verbrachte Zeit, Privatheit und ein bisschen Eitelkeit. Meine Mutter zeigt auf ihr Kinn: Da gibt es mal wieder ein Haar zu zupfen. Nein, Sterben beginnt nicht mit einem Paukenschlag, und es ist auch nicht so pompös und gewaltig wie eine Wagner-Oper. Es kommen Kinnhaare darin vor und Reibekuchen und erschreckend praktische Fragen: Was macht man eigentlich mit einer Toten im Haus?
    Interview mit Klaus W.
    Wie groß die Belastungen von pflegenden Angehörigen sind, erfährt man meist erst, wenn man selbst in diese Situation kommt. Sogar nach einem Hausbesuch bei Betroffenen kann man nur ahnen, wie radikal sich das Leben ändert, will man einen geliebten Menschen so betreuen, wie er es verdient und man es sich ja auch für sich wünscht. Einen kleinen Einblick in das, was in Deutschland täglich gestemmt wird, geben Klaus W., seine Frau Adelheid und Ewa P., die das Paar seit nunmehr 12 Jahren unterstützt. Adelheid kann schon länger nicht mehr sprechen. Das tut ihr Mann für sie. Wie vieles andere auch:
    Wie lange ist Ihre Frau schon krank?
    Wir haben die Diagnose seit 16 Jahren, und das Stadium, in dem Adelheid sich jetzt befindet, dass sie im Rollstuhl sitzt und sich eigentlich gar nicht mehr bewegen kann, dauert nun auch schon einige Jahre.
    In Deutschland, sollte man meinen, findet man mehr als genug Unterstützung in solch einer Situation. Wir haben Pflegedienste und Pflegeheime. Wieso haben Sie die Hilfe nicht in Anspruch genommen?
    Wir haben das anfangs versucht. Als ich noch arbeiten gegangen bin. Damals kam der Dienst morgens, mittags, abends. Meine Frau wurde dann morgens sauber gemacht, mittags brachte man ihr Essen, abends wurde sie ins Bett gebracht. Aber wenn sie zwischendurch etwa mal auf die Toilette musste, war niemand da. Adelheid hat sich dann manchmal drei, vier Stunden wundgesessen. Dann kam der Dienst morgens auch schon mal eine Stunde später als verabredet und abends manchmal schon um acht Uhr, um meine Frau ins Bett zu bringen. Aber sie ist doch erwachsen und will nicht wie ein kleines Kind schon nach dem Sandmännchen schlafen geschickt werden. Ich verstehe ja, dass gerade in der Pflege nicht alles nach Plan laufen kann. Diese Leute arbeiten mit Menschen, da kann schon mal etwas dazwischenkommen. Aber es ließ sich einfach nicht mehr vertreten. Ich brauchte jemand, der den ganzen Tag da ist. Legal ist das nicht zu finanzieren. Deshalb habe ich mich um eine Alternative bemüht.
    Sie haben einen Sohn. Unterstützt er Sie beide?
    Wenn wirklich Not am Mann ist, können wir uns immer auf ihn verlassen. Das ist schon gut und entlastet sehr. Aber im Alltag, für die tägliche Pflege, muss immer jemand hier sein und wir müssen zu zweit sein. Mein Sohn hat eine eigene Familie, eine Arbeit. Das lässt sich nicht vereinbaren.
    Warum beschäftigen Sie Ewa? Sie haben doch sicher eine Pflegestufe und bekommen also Pflegegeld?
    Das ist ein Witz. Als Angehöriger erhalte ich für die Pflege meiner Frau, die Pflegestufe III hat, 675 Euro. Der Pflegedienst würde fast drei Mal so viel bekommen. Wäre Adelheid im Pflegeheim, bekäme das Heim bis zu 3.400 Euro. Das ist doch verrückt.
    Und wieso ist ein Heim keine Lösung?
    Es gibt hier in der Nähe ein Altenzentrum, in dem eine Nachbarin von uns liegt. Ich besuche sie dort regelmäßig und sehe, wie es da nur noch um Profit geht. Dort werden die Bewohner teilweise einfach ruhiggestellt. Die Pfleger und Pflegerinnen geben sich zwar alle Mühe, aber sie sind total überlastet. Zwei Schwestern betreuen sechs Schwerstpflegefälle. Bis alle gewaschen sind, ist es
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