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Sterben Sie blo nicht im Sommer

Sterben Sie blo nicht im Sommer

Titel: Sterben Sie blo nicht im Sommer
Autoren: Constanze Kleis
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Pflege, die den Namen verdient, in entscheidenden Teilen der Heroinbeschaffung ähnelt. Und schließlich wird auch noch das größte aller Geheimnisse aufgedeckt: was eigentlich am Kranksein so verdammt teuer sein soll, dass ausgerechnet Würde, Respekt, Fürsorge und Menschlichkeit schon totgespart werden müssen, bevor Sie selbst so weit sind. Sollten Sie demnächst ins Gras beißen müssen, werden Sie mit diesem Buch und seinen zwölf Überlebensregeln für das Sterben also optimal auf das vorbereitet sein, was Ihnen hierzulande als Patient blüht. Besser wäre natürlich, Sie nehmen es – noch bei bester Gesundheit – zum Anlass, einmal genauer hinzuschauen und vielleicht auch einmal deutlich zu werden, der Politik oder einfach nur Ihren Ärzten gegenüber. Solange Sie es noch können und man Ihnen zuhört …

Der Anfang vom Ende
    »Was würdest du tun, wenn du nur noch sechs Monate zu leben hättest?«, habe ich sie gefragt. Wir hatten uns gerade eine DVD angeschaut: »Das Beste kommt zum Schluss«. Die Geschichte: Zwei ältere Männer (Jack Nicholson und Morgan Freeman), beide todkrank, erfüllen sich noch ein paar letzte Wünsche: Fallschirmspringen, einen Shelby Mustang fahren, die Pyramiden und das Taj Mahal sehen, auf Großwildjagd gehen, einem fremden Menschen etwas Gutes tun, so sehr lachen, bis man weint, das schönste Mädchen der Welt küssen. Was sie in Hollywood halt so machen, wenn der Krebs kommt. »Vielleicht noch einmal nach Sylt?«, sagt meine Mutter. Und dann: »Ich glaube, ich möchte nicht groß etwas ändern. Ich würde weiter ganz normal leben wollen.«
    Was nach einem höchst bescheidenen Wunsch klingt, wird für uns bald unerreichbar sein. Wir wissen es noch nicht. Aber ich ahne, dass sich da etwas anbahnt, das unsere Welt auf den Kopf stellen könnte. Meine Mutter, die sonst immer gern und viel redete, die so begeisterungsfähig war, die so viele Pläne für Reisen, Essen, Theaterbesuche, Shopping-Trips machte, als hätten wir alle die Lebenserwartung von Galapagosschildkröten, ist in den letzten Wochen seltsam schweigsam geworden. Was vorher undenkbar schien, ist nun Alltag; sie hat meinem Vater nach und nach klaglos das Feld in der Küche überlassen, den Einkauf, das Kochen und auch die Wäsche. Es ist, als wäre sie von einem undurchdringlichen Panzer aus freundlicher Milde umgeben, an dem alles abzuprallen scheint. Meine sonst so lebhafte Mutter sitzt nun oft einfach nur da und lächelt. Ich weiß, es stimmt etwas nicht. Aber sie hat keine Schmerzen, nichts, was sie quält. Sie sagt, sie wäre bloß immer so müde und erschöpft. »Du musst einfach mehr Sport machen!«, hatte ich ihr geraten. Ohne Widerspruch – und auch das ist neu – absolviert sie nun zweimal pro Woche in einem Fitnesscenter eine Art Zirkeltraining. Doch sie fühlt sich nicht besser. Drei Mal geht sie deshalb zu ihrem Hausarzt. Mit »Bluthochdruck« und »Reizblase« bringt meine Mutter von diesen Besuchen gleich zwei Diagnosen mit nach Hause. Und Rezepte. Sie schluckt nun regelmäßig einige Tabletten. An ihrem Zustand ändert sich nichts. Bloß ein trockener, quälender Husten kommt noch dazu. Wir finden seine Ursache im Beipackzettel eines der Medikamente als Nebenwirkung beschrieben.
    Wie so oft verabrede ich mich auch in dieser Zeit mit meiner Mutter in der City zum Essen. Als wir uns begrüßt haben, holt sie aus ihrer winzigen Umhängetasche ein großes Stück abgepackten Ziegenkäse. »Isst du doch so gern!«, sagt sie. Wir stehen an der Frankfurter Hauptwache, meine Mutter mit diesem Stück Ziegenkäse in der Hand, das sie zwischen Haustürschlüssel, Taschentuch, Lippenstift und Personalausweis aus einem Frankfurter Vorort mit in die Stadt gebracht hat. Alles bereitet ihr große Mühe. Kaum etwas interessiert sie noch. Sie achtet nicht mehr auf sich. Ihre Haare sind fettig. Ihr, die sonst so viel Freude an schöner Kleidung hatte, ist nun egal, was sie trägt. Meine Schwester und ich müssen sie in letzter Zeit sogar zum Duschen regelrecht überreden. Aber sie hat daran gedacht, dass ich gern Ziegenkäse esse und wie es mich freuen wird, wenn sie daran denkt. Sie kann ja nicht ahnen, dass mir dieses Bild »Mutter mit Ziegenkäse an der Frankfurter Hauptwache« mal das Herz brechen wird.
    Als mich meine Mutter am folgenden Sonntag mit ihrem Auto zum S-Bahnhof fährt, hat sie offensichtlich Probleme, sich nach links zu orientieren. Mir fällt auf, wie oft sie in letzter Zeit nicht bemerkt, wenn
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