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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche
Autoren: Niklaus Schmid
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Arbeitsscheue und Besessene. Ohne die Ganoven wären wir arbeitslos, ohne die Ehebrecher hätten wir keine halbwegs gesicherten Einnahmen. Meine Kollegen hören das nicht gern, aber so sind wir nun mal, wir Spürnasen, und in den Halbschatten, da gehören wir hin.
    Ob Zirkus oder Rummelplatz, ich mag den Geist der
    Jahrmärkte; Flitter, Schminke, gespiegeltes Licht, das offensichtliche Täuschen ist mir lieber als das verborgene.
    Mein Musikgeschmack wurde auf der Kirmes geprägt, wo wir als Halbwüchsige die Mädchen mit verwegenen Tanzschritten zu imponieren suchten. Wenn ich alte Platten von den Rolling Stones und Led Zeppelin, von David Bowie oder Lou Reed höre, dann fühle ich mich sofort in diese Zeit versetzt.
    Aufregend waren die Tage, berauschend die Nächte! Wir machten ein paar Spaziergänge auf der wilden Seite des Lebens, ja, es gab auch ein paar Ausrutscher, und manch einer von den alten Kumpels strauchelte, blieb liegen, geriet in den Sumpf; ich hatte mich rechtzeitig gefangen oder einfach nur Glück gehabt. Vielleicht muss das Leben ab und an wild und gefährlich sein, damit man es wieder genießt. Und damit man später seinen Erinnerungen nachhängen kann, irgendwo, sei es auf einer Landstraße zwischen Bombay und Goa, eingekeilt von unzähligen Ochsenkarren, oder auf dem alten Hellweg zwischen Werl und Soest mit einem Konvoi Kirmeswagen vor der Nase.
    Das Haus des Schreckens, las ich für mich. Die Worte standen in meterhoher gespensterhafter Zitterschrift auf der Rückwand des Anhängers vor mir, dargestellt wurde die Bedrohung durch Fratzen, Vampire und Burgruinen – obwohl die wahren Schrecken ja viel öfter nahe den gepflegten Vorgärten und hinter adretten Gardinen lauerten.
    55.
    Die Soester Innenstadt war für Autos gesperrt. Ich stellte meinen Wagen außerhalb der Wälle ab und ging die restlichen Meter zu Fuß.
    Die Bedienung im Pilgrim-Haus erkannte mich, was einen ja immer erfreut. »Sicher kommen Sie wegen der Kirmes.«
    »So ist es.«
    Ich bekam sogar mein altes Zimmer, weiß der Himmel, wie Anne Mehringer das geschafft hatte. Mit den Aufzeichnungen, die ich während meines letzten Besuchs gemacht hatte, setzte ich mich an den kleinen wackligen Tisch. Ich verglich diese Zettel mit den Notizen, die ich nach dem Gespräch mit Harry Keller gemacht hatte, und kam zu der Überzeugung, dass sich weitere Recherchen erübrigten.
    Nur wie ich den Fall abschließen sollte, das war mir noch nicht klar. Keine neue Situation für mich und dennoch war sie schwierig wie eh und je. Ein privater Ermittler sollte wie ein Polizist arbeiten, nach Möglichkeit sogar ein bisschen effizienter, aber kein Mensch musste ihm Auskunft geben und festnehmen durfte er auch niemanden, vom Waffengebrauch ganz zu schweigen. Was ihm blieb, war eine gewisse Kaltschnäuzigkeit, so er denn darüber verfügte…
    Nun mach schon, Elmar, gab ich mir einen Ruck. Ein Spaziergang wird dir helfen.
    Als Erstes schritt ich meinen alten Schulweg ab. Vom Marktplatz ging ich am Soestbach vorbei zur Petri-Thomä-
    Schule, jedenfalls hieß sie damals so, dann weiter zum Burghofmuseum, wo ein Hochzeitspaar sich vor historischen Mauern und inmitten einer riesigen Gästeschar fotografieren ließ. Auf dem Rückweg warf ich einen Blick in die
    Bildergalerie Kellers Kahn, ging am Atelier von Roy Appelt und an der Dienststelle von Martin Evers vorbei. Geschlossene Türen, Feiertag war sowieso, außerdem bereitete sich ganz Soest auf die Kirmes vor.
    Hatte ich bei meinem letzten Besuch das Gefühl gehabt, von allen möglichen Leuten erkannt, beobachtet und verfolgt zu werden, so war es diesmal genau umgekehrt. Niemand schien Notiz von mir zu nehmen.
    Mit einer Tüte gebrannter Mandeln in der Hand spazierte ich zurück zum Pilgrim-Haus.
    Ich hatte mich gerade aufs Bett gelegt, als Anne Mehringer anrief und fragte, ob ich nicht zum Essen in ihre bescheidene Hütte kommen wolle. Es war wohl die elegantere Form, mich zum Rapport zu bitten. Sie hätte auch direkt fragen können, wie ich gedachte, den Auftrag zu Ende zu bringen.
    Wenn ich’s nur selbst gewusst hätte.
    Das Haus war kein Palast, aber alles andere als eine Hütte.
    Grüner Sandsteinsockel, darüber Fachwerk, ich sah einen Wintergarten und, überdacht von Lindenbäumen, eine Doppelgarage, aus der eine große Limousine und ein Coupe hervorlugten, beide mit dem Stern auf der Kühlerhaube.
    Der Mann, der mir die Tür öffnete, war groß und mochte zehn Jahre jünger als Anne sein. Er sah
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