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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche
Autoren: Niklaus Schmid
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öffnete, sah ich einen gepflegten Mann mittleren Alters, nicht größer als einen Meter siebzig.
    »Ekelhaft!«, bemerkte er, indem er eine Augenbraue hob und mit dem Kinn zu meinem Fernsehapparat deutete, wo sich nun, unterbrochen und gemildert durch die Streifen des schnellen Vorlaufs, das Hinterteil der Frau im Blickfeld des Betrachters befand.
    Ich sagte: »Herr Kelian, es gibt Männer, die sich
    Schlimmeres ansehen müssen und die dennoch nicht damit zu einem privaten Ermittler laufen.«
    »Ich weiß, Herr Mogge. Wie Sie schon anklingen ließen, es gibt ganz bestimmt sogar Männer, die dafür Geld ausgeben.
    Aber das ist es ja gerade.«
    »Also, wo liegt das Problem?«
    Er antwortete mit einer Gegenfrage: »Können Sie sich vorstellen, dass meine Frau meinen Beteuerungen, dass mir Geschenke dieser Art lästig sind, Glauben schenkt?«
    »Ist das Ihre einzige Sorge?«
    »Leider nicht.« Mein Besucher zog aus der Innentasche seines erstklassigen Anzugs ein Foto, reichte es mir über den Schreibtisch, lehnte sich im Besuchersessel zurück, schlug die Beine übereinander und wartete auf meine Reaktion.
    Na schön, dachte ich und pfiff, während ich das Foto länger als nötig betrachtete, anerkennend durch die Zähne.
    Das Bild zeigte eine Frau in Witwenkleidung vor einem frisch ausgehobenen Grab. Eine Beschriftung, mit Filzstift quer über eine Ecke des Fotos geschrieben, verkündete: Tristan, ich warte auf dich, deine holde.
    »Wieso Tristan?«
    »Das erkläre ich Ihnen später.«
    2.
    »Herr Kelian, wenn Sie das makabre Foto beunruhigt, wenn Sie in dem Video mehr als einen geschmacklosen Scherz sehen, warum wenden Sie sich dann nicht an die Polizei?« Die Frage nach der Polizei war eine meiner Standardfragen, im Grunde reine Formsache. Denn Aufträge abzulehnen, diesen Luxus konnte ich mir nur selten leisten; ich war ein Ein-Mann-Betrieb und kam gerade so über die Runden. Das war die eine Seite, zudem helfen solche Fragen, die Ernsthaftigkeit eines möglichen Klienten zu prüfen.
    »Polizei?« Gregor Kelian hob die Hände in einer Geste der Hilflosigkeit. »Die Polizei nimmt mich nicht ernst. Die glaubt, ich wolle mich wichtig machen. Einer der Beamten hat höhnisch gefragt, was ich denn mit der Frau angestellt hätte, dass sie nicht von mir lassen will. Ein anderer empfahl mir, mit ihr essen zu gehen und mich dabei schweinisch zu benehmen, das würde sie kurieren.«
    Kelian strich sich mit dem Handrücken über das Hosenbein, als wäre das Malheur schon passiert. Dann sah er mir ins Gesicht. »Ich dachte, dass Sie mal – ich meine, so wie Sie aussehen…«
    »Lassen wir mein Aussehen beiseite«, beschied ich. »Was kann ich Ihrer Meinung nach denn überhaupt tun? Der Frau einen Arm auskugeln, damit sie nicht mehr schreiben oder mit Kerzen an sich selbst herummachen kann?«
    »Um Himmels willen nein! Nur mal mit ihr reden, etwas Druck ausüben.«
    Druck ausüben auf einen weiblichen Stelzvogel. Eine andere Bezeichnung fiel mir im Moment nicht ein. Stalking, so der englische Ausdruck, war in Deutschland ein ziemlich neues Delikt, in Amerika jedoch schon längere Zeit in Mode. Meist waren es dort Prominente und unter ihnen wiederum in der Mehrzahl Frauen, die von liebeskranken Tätern verfolgt wurden, deren Einfallsreichtum kaum Grenzen kannte. Von der Ratte, die sie in den Briefkasten ihres Opfers steckten, bis zur selbst gebastelten Todesanzeige, die sie mit dem Namen des Opfers in die Zeitung setzten, jedes Mittel war ihnen recht, um die Aufmerksamkeit der angehimmelten Person zu
    erlangen, wenn Briefe, Anrufe und Liebesgaben ihre Wirkung verfehlten. Die Sängerin Madonna und der Schauspieler Brad Pitt gehörten zu den Verfolgten, in Deutschland Steffi Graf, Katarina Witt und – wenn es denn wirklich zutraf – auch mein Besucher Gregor Kelian.
    Der Mann hatte nicht nur eine eindrucksvolle Stimme, er sah auch so aus, als ob er sich mein Honorar, vierhundert pro Tag, leisten könnte.
    »So, jetzt mal Butter bei die Fische, wie man hier im Ruhrpott sagt: Erzählen Sie mir, wie die Sache angefangen hat.«
    In wohlgesetzten Worten berichtete Kelian von seiner Arbeit bei Radio Vital, einem privat finanzierten regionalen Rundfunksender, wo er Das andere Fenster moderierte, eine populärwissenschaftliche Sendung über Psychologie im Alltag.
    »Zugegeben, es sind nur Ratgeberhäppchen, unterbrochen von Schlagern, Staumeldungen und Werbung, aber die Sendung ist sehr beliebt und entsprechend groß die Rückmeldung in
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