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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche
Autoren: Niklaus Schmid
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Klassentreffen nahm den üblichen Verlauf: Saufen, Sex und große Worte.
    Nach weiteren Bierchen in Begleitung von westfälischem Doppelkorn, damals lebte ich noch Arm in Arm mit Bruder Alkohol, fassten wir gealterten, aber immer noch tollen Hechte den Entschluss, uns bald wieder zu treffen, auf jeden Fall aber in Kontakt zu bleiben. Na ja, das machen ehemalige Schulkameraden in solcher Situation sicher auf der ganzen Welt, auch wenn sie wissen, dass es für diese Kontaktpflege eigentlich keine Grundlage gibt.
    Tatsächlich schrieb mir Peter Rugen nach dem Klassentreffen mal eine Karte, die ich unbeantwortet ließ, und ein paar Monate danach rief er sogar an, um mir mitzuteilen, dass er daran denke, Deutschland für eine Weile zu verlassen. Er sprach vom Auswandern oder auch nur von einer längeren Reise, die er zur Selbstfindung benötigte, irgendetwas in der Richtung. Von einer Frau, deren Namen ich vergessen hatte, kam zwei Jahre nach meinem Besuch in Soest ein Brief, dass bald wieder ein »gemütliches Beisammensein« anstünde. Auf einer beigefügten Teilnehmerliste stand auch der Name von Peter Rugen, allerdings versehen mit einem Fragezeichen, wenn ich mich recht entsann. Ich erfand eine Ausrede und sagte ab. Es war das letzte Mal, dass ich seinen Namen gehörte hatte.
    Bis zu diesem Anruf vorgestern. Und jetzt befand ich mich auf dem Weg nach Soest. Vom Kreuz Kaiserberg bis
    Dortmund über den Ruhrschnellweg, danach die Landstraße über Wickede und Unna, ganz bewusst hatte ich den alten Hellweg gewählt, der mich an meine Schulzeit erinnerte. Wie war das nochmal: Hellweg gleich Heerstraße und Königsweg?
    Oder doch Salzstraße oder gar Höllenweg? Auf jeden Fall war dies eine viel beschaulichere Strecke als die parallel dazu verlaufende Autobahn.
    Und mir blieb noch ein wenig Zeit, um mich auf die Begegnung mit dem Toten vorzubereiten. Doch das wollte mir nicht so recht gelingen, ich wusste ja nicht einmal, wie Peter Rugen ums Leben gekommen war. Anne Mehringer hatte am Telefon, was die Todesursache betraf, nur ausweichend geantwortet und überhaupt ziemlich geheimnisvoll getan.
    »Sie sind doch jetzt so eine Art Privatdetektiv«, hatte sie gesagt.
    »Jedenfalls bin ich nicht mehr im Polizeidienst, wenn Sie das meinen.«
    In unserer Klasse war diese Anne bestimmt nicht gewesen, ihrer Stimme nach schätzte ich sie auf etwa fünfzig. Es gab Leute, die mich schon nach den ersten Sätzen langweilten, und andere, die mich auf Anhieb, unabhängig von Geschlecht und Alter, neugierig machten und von denen ich mich angezogen fühlte. Anne Mehringer gehörte zu den Letzteren.
    Mal sehen, ob mein Eindruck bestätigt wird, dachte ich, setzte mich wieder hinters Steuer und versuchte den Rest der Fahrt zu genießen. Das Häusermeer des Ruhrgebiets, das ja im Grunde eine breitflächige Großstadt ist, lag schon lange hinter mir, sanfte Hügel tauchten am Horizont auf, und irgendwann sah ich dann die markante Soester Stadtsilhouette mit ihren Kirchtürmen.
    Am Osthofentor stellte ich meinen Wagen ab und ging durch die engen, von Grünsandsteinmauern und Fachwerkhäusern begrenzten Gassen in Richtung Stadtmitte. Perfekt restaurierte Häuser, gepflegte Gärten – wie schon bei meinem letzten Besuch erinnerte mich der Stadtkern an eine Puppenstube. Als Mensch des Ruhrpotts war ich an harte Kontraste gewöhnt, Idylle machte mich misstrauisch. Dazu noch Sonnenschein und es wäre nicht zum Aushalten gewesen.
    Es fing an zu schneien, dicke, nasse Flocken, die auf den Boden platschten und kleine Pfützen bildeten. Und das im Oktober.
    Ich schlug den Mantelkragen hoch und stapfte über das rutschige Kopfsteinpflaster, am Soestbach vorbei zum Großen Teich mit den Schwänen und weiter zum Marktplatz. Unter den wenigen Leuten, die ich dort sah, waren zwei japanische Mädchen, die verfroren aussahen und die malerische Fachwerkfassade der Gaststätte Im Wilden Mann
    fotografierten.
    Ich betrat das Lokal, setzte mich an einen Ecktisch gegenüber der Theke, bestellte eine Tasse Tee, schaute mich um und wartete.
    Ich war eine halbe Stunde zu früh. Das ließ mir Zeit, über meine Arbeit und meinen Klienten Gregor Kelian
    nachzudenken. Zuschriften in Mengen, eindeutige Angebote –
    was hatte der Mann, dass ihm die Frauen derart hartnäckig nachliefen? Ganz anders lagen auf dem Gebiet meine eigenen Erfahrungen. Meine Frau hatte sich nach dreijähriger Ehe von mir getrennt und kaum hatte ich mich auf eine neue Bekanntschaft eingelassen,
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