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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche
Autoren: Niklaus Schmid
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zu sehen. Da wurde man zu
    Selbstmördern gerufen, die mit heraushängender Zunge unterm Dachstuhl baumelten, oder zu jenen Verkehrstoten, die von den harten Burschen der Rettungsdienste »mit Schippe und Handfeger«, wie sie selbst sagten, eingesammelt wurden, auch Wasserleichen waren keiner schöner Anblick. So schnell konnte mich also nichts umhauen. Doch als Dr. Borbek nun das Tuch wegzog, lief mir ein Schauder über den Rücken.
    5.
    Im ersten Augenblick glaubte ich, in das Gesicht einer Mumie zu schauen, einer Mumie allerdings, der ein Teil der Schädeldecke fehlte. Der restliche Kopf war unverletzt, die Haut bräunlich und straff über die Gesichtsknochen gezogen.
    Das letzte Mal, dass ich etwas Ähnliches gesehen hatte, lag schon eine Zeit zurück und es war im Fernsehen gewesen.
    Damals hatte es sich um den Toten aus einem Alpengletscher gehandelt, den später so genannten Ötzi. Jetzt blickte ich in das Gesicht von Peter Rugen; ich erkannte ihn sofort und er sah, trotz allem, was mit seinem Kopf geschehen war, auf gewisse Weise lebendig aus. Aber gerade das, glaube ich, war so erschreckend.
    Ich schluckte ein paarmal und fragte schließlich: »Was ist mit ihm passiert?«
    »Osmose, die Leiche hat unter einem Salzberg gelegen«, gab Dr. Borbek Auskunft, »sie wurde dehydriert.«
    »Faszinierend! Aber wieso…?« Mein Blick, eine Mischung aus Entsetzen und Bewunderung, spornte den Wissenschaftler zu weiteren Auslassungen an.
    »Nun, in hypertonen Salzlösungen können keine Bakterien leben, ihnen wird – Pardon! – sozusagen die Lebenslust versalzen, indem aus dem Zellinneren so viel Wasser entzogen wird, dass die Stoffwechselprozesse nicht mehr funktionieren.«
    »Aha, das wäre dann ja ähnlich wie…«
    »Richtig!«, unterbrach mich Dr. Borbek. »So wird von alters her Hering mit Salz haltbar gemacht. Und das ist, nebenbei bemerkt, das Verfahren, dem diese Region früher ihren Reichtum verdankte.«
    Seine Augen, die für Sekunden auf Anne Mehringer geruht hatten, wanderten wieder zurück zur Leiche. »Auch die äußere Haut wird sehr schnell vor bakterieller Zerstörung geschützt.
    Deshalb können äußere Verletzungen auch noch nach Jahren hinsichtlich Lage, Form und Größe gut beurteilt und bestimmten Gewalteinwirkungen – Stich, Schlag oder Schuss –
    zugeordnet werden. Schauen Sie hier, sieht aus, als hätte ein gigantischer Hamster an seinem Schädel genagt. Ich bitte Sie, meine Ausführungen nicht als Pietätlosigkeit aufzufassen, aber neben der Würde des Verstorbenen und der Trauerarbeit, die liebende Hinterbliebene leisten müssen, gibt es eben auch den rein naturwissenschaftlichen, postmortal-biochemischen Aspekt der Betrachtung.«
    Alles klar, postmortal, eine Salzleiche ist nichts Alltägliches und offensichtlich war Dr. Borbek sehr glücklich über den Fund und zudem äußerst stolz auf sein Wissen, mir aber gingen ein paar Fragen durch den Kopf.
    »Was meinen Sie, Herr Dr. Borbek, wie lange hat…?«
    »Knapp zehn Jahre.«
    »Und die Verletzung, wodurch könnte die…?«
    Der Mediziner wandte sich zu mir und blinzelte über seine randlose Brille, als hätte ich den Raum gerade erst in dieser Minute betreten. »Wieso fragen Sie das?« Er musterte mich von oben bis unten und mir wurde klar, dass ich mich mit weiteren Fragen dieser Art zurückhalten musste.
    Also erkundigte ich mich, wann die Beerdigung sein würde, und erhielt die knappe Antwort, sobald die Obduktion abgeschlossen sei. Ende des Gesprächs, die Quelle war versiegt. Wir konnten gehen.
    Dr. Borbeks misstrauischer Blick folgte uns bis zur Tür.
    Inzwischen hatte der Schneeregen aufgehört, hinter den Wolkenfetzen waren sogar ein paar Sonnenstrahlen zu sehen.
    Wenn ich nicht vom Berufsverkehr auf dem Ruhrschnellweg aufgehalten würde, konnte ich in gut einer Stunde zu Hause sein und mich um meinen Auftrag kümmern.
    »Dann werde ich mich mal wieder auf den Rückweg
    machen.« Ich hielt Anne Mehringer die Hand hin. »Sie können mich ja anrufen, wenn Peter Rugen dann tatsächlich beerdigt wird.«
    Sie ließ meine Hand unbeachtet, fragte stattdessen: »Warum haben Sie den Polizeidienst aufgegeben und sind
    Privatdetektiv geworden?«
    Fragen kann man, das gehörte ja auch zu meinen Aufgaben, nur mit den Antworten, da tat ich mich manchmal etwas schwer. »Ich wollte das große Geld machen. Und von Frauen angehimmelt werden.«
    Sie betrachtete mich mit einem abschätzenden, leicht amüsierten Blick – meine eher sommerliche
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