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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche
Autoren: Niklaus Schmid
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selbst die Leichen.«
    57.
    Auf dem Rückweg nahm ich wieder den alten Hellweg. Ich hatte Zeit, viel Zeit, und Geld hatte ich auch, auf dem Konto befand sich das Honorar von Kelian, in der Tasche steckte das Bargeld von Anne Mehringer. Der Motor meines Passat Kombis schnurrte wie ein Kätzchen und aus dem Autoradio tönte ein Song aus den Sechzigern. Tim Hardin sang If I were a carpenter.
    Carpenter, Zimmermann, privater Ermittler – keine Berufe mit hohem Ansehen, aber zu verachten waren sie auch nicht.
    Die Sonne schien, es war ein Tag der großen schönen Träume, ohne besonderen Grund, nur so.
    In Gedanken summte ich den Text mit: »… and you are a lady…« Eine Gitarre ohne Verstärker, eine unaufgeregte Stimme, ein guter Song!
    Es war ein Tag für Träume oder Tänze; mit Paula unter einer Diskokugel Rock‘n’Roll tanzen, verwegen und selbstvergessen wie früher, mit Elvis, Jim Morrison, Jimi Hendrix und all den anderen Helden meiner Kindheit im Himmel, im Beisein der dreifarbigen Katzenmutter und ihrer drei Jungen. Das Leben war schön, doch ja, nur hatte ich das in letzter Zeit so häufig vergessen.
    Als ich mich dem Ruhrgebiet näherte, verschwand die Sonne hinter einem Grauschleier und ich spürte das bekannte Kratzen im Hals. Beschwingt fuhr ich durch die betonierte Landschaft, sah Autobahnen und Zubringer, Einkaufszentren, Großmärkte und Parkplätze größer als Fußballfelder. Nicht zu lieblich darf er sein, der Wohnort, hat mal ein großer Denker gesagt – oder meinte er den Wein? Oder das Weib? Wohl alles, was uns wirklich etwas wert sein soll.
    Die Sendung mit den Songs aus den Sechziger- und
    Siebzigerjahren wurde vom Verkehrsfunk unterbrochen, der Sprecher warnte vor einem Bettgestell auf der A 40. Vor meinen Augen entstand ein kilometerlanger Stau von Bochum bis Duisburg. Tausende von Autos mit Hunderttausenden von Pferdestärken warteten vor einem Bett.
    Und dann, nach dem nächsten Musikstück, brachte der Sprecher die Nachrichten. Die Friedensgespräche im Nahen Osten seien ins Stocken geraten – wie seit Jahrzehnten; bei den Arbeitslosenzahlen im Revier sei keine Besserung in Sicht –
    wie seit vielen Jahren; im Mordfall van Eicken sei eine Irene G. aus Froschenteich festgenommen worden – das war neu. Ich horchte auf. Und zuletzt kam noch, wie der Sprecher es nannte, eine Meldung in eigener Sache:
    »Gregor Kelian, unser Moderator der beliebten Sendung Das andere Fenster ist zum neuen Chef von Radio Vital ernannt worden, womit für den Sender eine neue Ära beginnt. Denn mit der Ernennung von Gregor Kelian wurde ein lang andauernder Richtungsstreit um das System Digital Radio Mondiale, kurz DRM genannt, zum Nutzen der Hörer beendet.
    In naher Zukunft wird Radio Vital nicht nur in verbesserter Qualität, sondern auch bundesweit ausgestrahlt werden. Zudem haben mehrere TV-Anstalten ihr Interesse an der
    populärwissenschaftlichen Sendung Das andere Fenster bekundet. Damit wäre der experimentierfreudige Rundfunk wieder einmal die Quelle für ein Erfolg versprechendes Fernsehformat. Wir wünschen Gregor Kelian viel Glück! Und ein bisschen stolz sind wir auch, denn schließlich stammt er ja aus unseren Reihen.«
    Stolz war man, so, so.
    Ich schaltete das Radio aus, um einer anderen, eher zweifelnden Stimme, die aus meinem Inneren kam, zu lauschen:
    »Tja, Elmar Mogge, was sagst du dazu?«
    »Nun, dann waren die Beweismittel gegen Gregor Kelian wohl doch nicht schlagkräftig genug. Immerhin, das Geld, mein Schnüffler-Honorar, das habe ich in der Tasche.«
    »Und die Gerechtigkeit, Elmar Mogge, sag, was ist damit?«
    »Man kann nicht alles haben!«
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