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Stelzvogel und Salzleiche

Stelzvogel und Salzleiche

Titel: Stelzvogel und Salzleiche
Autoren: Niklaus Schmid
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war diese mit meinem auf Formentera sauer verdienten Honorar auf und davon.
    Zweihunderttausend Mark für eine durchvögelte Nacht, ein hoher Preis, am Ende aber doch zu verschmerzen, es war ja nur Geld. Noch nicht ganz verdaut hatte ich hingegen den letzten Schlag. Da hatte ich mich, schlimm genug, Hals über Kopf in eine Klientin verliebt, und dann musste ich, doppelt schlimm, diese Frau ausgerechnet deshalb aufgeben, weil ich in einem Anfall von Moral ihren Ehemann vor einem langjährigen Aufenthalt im Gefängnis bewahrt hatte.
    Und jetzt saß ich hier und dachte über einen Mann nach, dessen Sorge es war, dass ihm die Frauen nachliefen.
    Die Bedienung brachte den Tee, also heißes Wasser und einen Teebeutel, den ich in das Glas hängte und fünf Minuten ziehen ließ. Als ich das nächste Mal auf die Wanduhr schaute, fing ich den Blick eines Mannes auf, der an der Theke lehnte.
    Klein, rundlich, mit breitem Gesicht; ich überlegte, ob es sich womöglich um einen meiner ehemaligen Klassenkameraden handelte, konnte den Typen aber nicht unterbringen und beschäftigte mich wieder mit meinem Teeglas.
    Also, was hatte ich diesmal: einen Namen, der nichts besagte, eine Ortsangabe, die nicht viel mehr hergab, und ein Video, das vom Körper einer Frau reichlich, von ihrem Gesicht aber recht wenig zeigte, dazu das Foto einer schwarz verschleierten Frau vor einem Grab. Das war nicht viel.
    Ich trank den Tee und überlegte, was ich dieser lästigen Person sagen sollte, wenn ich ihr bei der von Kelian vorgetäuschten Verabredung gegenüberstehen würde.
    Schicken Sie meinem Klienten keine Gedichte mehr, keine selbst gebackenen Plätzchen und auch keine Nacktaufnahmen!
    Ich fragte mich, ob es überhaupt richtig gewesen war, den Auftrag anzunehmen.
    Neue Gäste schoben sich durch die Tür, hängten ihre feuchten Mäntel an die Haken und rieben sich die klammen Hände. Andere zogen die noch immer feuchten Mäntel wieder über und verließen den Raum. Der Typ von der Theke schaute mich beim Hinausgehen von der Seite an, sagte aber nichts.
    Kurz darauf betrat Anne Mehringer das Lokal. Leute, die miteinander verabredet sind, erkennen sich, auch wenn sie sich vorher noch nie gesehen haben. Sie steuerte direkt auf mich zu.
    4.
    Mit der Einschätzung ihres Alters hatte ich gut gelegen. Nur war sie viel attraktiver, als ich sie mir vorgestellt hatte, die grauen Haare umrandeten ein Gesicht, das Falten aufwies, aber immer noch sehr anziehend war. Unter dem Mantel trug sie ein schwarzes Wollkleid, das ihre Figur – runde, üppige Kurven –
    betonte. Sie begrüßte mich mit einem Lächeln, das Wärme ausstrahlte.
    Nach den üblichen einleitenden Worten über das Wetter fragte ich, wann die Beerdigung sei, und erfuhr zu meiner Überraschung, dass sich die Leiche noch im Städtischen Krankenhaus befand.
    »Hören Sie«, sagte ich, darauf bedacht, meinen Unmut nicht zu deutlich zu zeigen. »Ich bin kein viel beschäftigter Manager, aber gestohlen habe ich meine Zeit auch nicht.«
    »Ich weiß«, sagte sie mit entwaffnender Leichtigkeit. »Aber können wir jetzt erst einmal gehen?«
    Das Stadtkrankenhaus, zu dem sie mich führte, lag außerhalb der mittelalterlichen Befestigungswälle, die das Städtchen zu gut zwei Dritteln umschlossen. Äcker und Kuhweiden erstreckten sich hinter den stufenförmig angeordneten Gebäudeteilen. Es handelte sich um einen Zweckbau aus den Siebzigerjahren, in dem, wie ich von meiner Begleiterin erfuhr, jene Toten aufbewahrt wurden, bei denen die Todesursache noch nicht geklärt war. »Entweder untersucht ein
    Rechtsmediziner die Leiche an Ort und Stelle oder sie wird später zum Rechtsmedizinischen Institut nach Dortmund überführt.«
    Wir betraten das Gebäude, Anne Mehringer ging voran.
    Nachdem sie ein paar Worte mit einem Mann im weißen Kittel, den sie mit Dr. Borbek ansprach, gewechselt hatte, durften wir die Kühlhalle mit den Stahlfächern betreten.
    Ob draußen die Sonne schien oder ein nasskalter Herbstwind wehte, spielte keine Rolle, die Atmosphäre in solchen Räumen war ja nie anheimelnd. Aber heute hatte ich ein besonders ungutes Gefühl. Lag es daran, dass ich einem ehemaligen Schulkameraden gegenübertreten, von ihm Abschied nehmen sollte? Denn das war es, was Anne mit Dr. Borbek besprochen hatte, der sich in diesem Moment an dem Rollfach zu schaffen machte.
    Was Tote angeht, war ich von meiner Dienstzeit her an manches gewöhnt. Als Polizist bekam man ja nicht nur perfekt geschminkte Leichname
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