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Stein der Dämonen

Stein der Dämonen

Titel: Stein der Dämonen
Autoren: Hubert Haensel
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mitten im Schritt, doch knochige Hände stießen ihn weiter. Leise, wie aus endloser Ferne kommend, erklang noch immer der Ruf des Bitterwolfs.
    Mythor fühlte es mehr, als er es zu erkennen vermochte, dass vor ihm jemand war. Ein eisiger Hauch breitete sich aus, der durch seine Kleidung drang und ihn frösteln ließ. Es war mehr eine innere Kälte, die von den Felsen ausstrahlte.
    Der Kämpfer des Lichtes vernahm hastige Atemzüge. Allmählich kehrte dann sein Augenlicht zurück, und er sah ein in wallende Tücher gehülltes Wesen vor sich, dem der Wundbrand das halbe Gesicht zerfressen und zur Dämonenfratze hatte werden lassen. Seine Augen waren ein Spiegel des Grauens; in ihnen schienen Höllenfeuer zu lodern. Mythor zuckte zurück, als ihr Blick ihn traf. Neben ihm stöhnte Mistra entsetzt auf.
    Aber als der Stumme plötzlich begann, mit den Händen eine Geschichte zu erzählen, gab es für ihn nur noch die Schatten, die im Schein eines glühenden Steines über den Boden tanzten. Er verstand bei weitem nicht alles, doch immerhin genug, um zu erkennen, dass es seine Geschichte war, die mit schnellem Fingerspiel dargestellt wurde. Flüsternd übersetzte Mistra.
    Vor noch nicht langer Zeit, siebzehn Winter zogen seither ins Land, fiel ein Stein vom Himmel – in jenen Tagen ein seltenes Ereignis. Dieser zerbrach in zwei Hälften und gab preis, was sein glühendes Äußeres verborgen hatte: Ein Knabe entstieg der schützenden Hülle, ward hineingeboren in eine Welt voll Finsternis. Mächte aus höheren, den Menschen unzugänglichen Gefilden hatten ihn zur Welt gesandt, um eine Mission zu erfüllen. Er war…
    »Der Sohn des Kometen!« platzte Mythor heraus. Mistra nickte. »Du«, sagte sie, »warst dieser Knabe.«
    Doch die Kräfte der Finsternis wussten um das von Licht umspielte Kind. Sie ließen es von Fremden entführen, die sein Erbe damit dem Verfall preisgaben. Dämonen aus der Schattenzone lenkten eine Nomadenstadt nach Salamos. Ihre Bewohner nahmen den Sohn des Kometen an sich und brachten ihn fort vom Ort seiner Bestimmung.
    »Wir alle«, schloss Mistra und gab damit wieder, was der Stumme auf seine Art zu sagen hatte, »warteten bis zum heutigen Tag voll Sehnsucht auf die Rückkehr des Knaben, der inzwischen zum Mann herangereift ist. Wir leben, um ihn seine Bestimmung finden zu lassen.«
    »Besessene?« fragte Mythor voll Argwohn. »Was kann das Böse mit dem Licht gemein haben?«
    Der Stumme erhob sich. Mit zwei Fingern der linken Hand tastete er nach der Narbe hinter Mythors Ohr. Er schien zufrieden, als er sie wirklich spürte. Ein Aufleuchten huschte über seine entstellten Züge.
    »Du bist der, dem unser Bangen galt«, deutete Mistra seine Gesten. »Wir, die Diener des Kometen, wollen dich zurückführen zu dem Stein, in den eingeschlossen du einst zu uns kamst.«
    Mythor fühlte eine freudige Erregung in sich aufsteigen. Alles passte zusammen. Der Kreis schien sich geschlossen zu haben, denn nun war er zurückgekehrt. Und doch fühlte er sich als Fremder unter Fremden. Er hätte Freude empfinden müssen, indes machte ihm ein bohrendes Gefühl der Ungewissheit zu schaffen. Zweifel wurden wach, dass er wirklich im Inneren eines Kometen zur Erde gefallen war. Immerhin hatte er erst vor kurzem erlebt, mit welch zerstörerischer Wucht diese glühenden Steine vom Firmament herabstürzten.
    Der Stumme bedeutete Mythor, dass er ihm folgen solle.
    »Das Geheimnis deines Seins«, flüsterte Mistra ergriffen, »wartet auf dich.«
    *
    Im Lauf vieler Jahre hatten die Besessenen ein wahres Labyrinth von unterirdischen Gängen und Höhlen gegraben. Der Sohn des Kometen schätzte, dass sie sich mehr als drei Mannslängen tief unter der Erde bewegten. Die Luft war schal und stickig. Es roch nach Unrat und Verwesung. An manchen Stellen rann Wasser von den Wänden. Der Boden war glitschig, und leuchtende Moose fristeten hier ein kärgliches Dasein.
    Nach einiger Zeit gab Mythor es auf, die Schritte zu zählen. Wenn er am Ziel wirklich den Meteor vorfand, in dem er auf die Erde gefallen war, dann stellte der unterirdische Gang eine Verbindung zwischen dem Gebirge und den Kratern dar, zwischen dem sprießenden Samen des Bösen und der Hoffnung der Lichtwelt.
    Wieder einmal war Harks klägliches Heulen zu hören. Als Mythor stehenblieb, um zu lauschen, stieß der Stumme ihn einfach vorwärts. Mindestens zwei Dutzend Besessene folgten ihm.
    Kurz darauf wurde der Schrei des Bitterwolfs lauter. Vermutlich besaß der
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