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Steile Welt (German Edition)

Steile Welt (German Edition)

Titel: Steile Welt (German Edition)
Autoren: Stef Stauffer
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kränklich oder sind sogar gestorben. Die Mütter waren ja selber auch nicht so stark, zudem kannte man keine Pille, und das Kinderkriegen hat sie zusätzlich ausgezehrt. Und die ganze Arbeit, die an ihnen hing, das Haus und der Hof, die Hütten auf dem Berg und der Alp.
    Wir mähen auch heute noch das Gras auf den Monti. Dann verbrennen wir es. Niemand will es mehr haben, aber mähen muss man trotzdem, sonst verwaldet alles. Erst kommt der Ginster, dann die Bäume. Als ich Kind war, war hier kein Wald. Der ganze Südhang wurde kultiviert, genutzt und bebaut. Bis hinunter zum Fluss. Man hat gepflanzt und gesät, geerntet und gelagert. Was hätte man sonst gegessen.
    Überall wurden Kartoffeln angepflanzt. Und Mais. Es waren alles Terrassen mit Feldern unterhalb der Dörfer. Auch oberhalb der Strasse, rauf bis zu den Monti. Und Roggen wurde gezogen, zum Strohflechten. Als ich klein war, gab es den hier noch. Aber später, als ich vielleicht siebenjährig war, schon nicht mehr. Man hat die ganzen Dörfer gut gesehen, wenn man talabwärts blickte. Heute sind sie ja alle halb verdeckt von den Bäumen. In den Jahren, als ich weg war, ist dann mehr und mehr alles überwachsen mit Bäumen und Sträuchern. Erst in letzter Zeit hat man wieder angefangen zu roden und die Terrassen zu mähen.
    Man lebte von den Kartoffeln und vom Mais. Polenta hat man gegessen. Manchmal sogar schon zum Frühstück. Zum Brot-Backen brauchte man Hefe. Die musste man kaufen. Aber manches Mal war kein Geld im Haus. So ass man, was man selber angepflanzt hatte, lebte von dem, was man dem Boden abgerungen hatte. Mit den Ziegen ging es im Sommer, wenn keine Schule war, hinauf zu den Alpi. Wir Kinder und die Mutter. Alle mussten mit anpacken und helfen. Die Ziegen hüten beispielsweise. Schauen, dass keine verloren ging.
    Ich zog weg von hier, als ich vierzehn war. Allein, in eine Familie. Man musste Geld verdienen. So wie der Vater, der war auch nicht da, hat gearbeitet unten und Geld gebracht.
    Das Haus hier hat mein Mann selber wieder aufgebaut. An jedem Wochenende waren wir da. Erst konnten wir nur die untere Küche benutzen, kochten am offenen Kamin. Jetzt heizen wir nicht mehr mit Holz. Mit Strom ist es praktischer. Niemand von uns kann mehr das Holz hochtragen bis zum Haus, dann rauf in die Wohnung. Das gibt viel Arbeit, und wir sind alle alt. Als Kind musste ich immer ein Stück Holz mit in die Schule bringen, wie alle anderen auch. So konnte der Lehrer die Schulstube heizen. Das war auch nötig zu der Zeit. Wenn man stillsitzen musste, begann man augenblicklich zu frieren. Wir hatten nicht viel anzuziehen. Ein einziges Paar Schuhe und keine dicken Jacken. Eine Wolljacke vom Bruder, so eine konnte man sich zur Not ausleihen, aus selbst gesponnener Schafwolle. Aber das mochte ich gar nicht. Die Wolle war grob und hat gejuckt. Da war mir der gewobene Schal lieber. Die Mädchen mussten Röcke tragen, bei jedem Wetter.
    Im Winter haben die Frauen des Dorfes die Schafwolle gesponnen am Spinnrad. Das konnte ich nie. Bei mir ist die Wolle immer entweder gerissen oder es gab dicke Stellen. Meine Wolle konnte man nicht brauchen. Wenn die Schafe geschoren wurden, hat man die Wolle nach unten geschickt. Dort wurde sie gewaschen und vorbereitet, dass man sie daheim dann verspinnen konnte. Mit der Nähmaschine war es dasselbe. Wir hatten eine Singer. Aber irgendetwas machte ich verkehrt. Es gelang mir nie, eine gerade Naht zu nähen, immer klemmte etwas.
    Nach der Pensionierung zogen wir wieder hierher. Jetzt ist es komfortabel. Die moderne Küche, Wasser, Strom.»
    Die Teebeutel auf dem untersten Tablar im Hängeschrank sind gerade noch zu erreichen. Für alles, was weiter oben liegt, braucht es einen Stuhl, was die Suva gar nicht gerne sieht. Aber es schaut keiner hin, Besuch kommt viel zu selten. Auch die Männer sind keine grosse Hilfe. Nicht einmal sie erreichen die Normgrösse, die übliche Schweizer Küchen von ihren Nutzern fordern.
    Die Zerbrechlichkeit der flinken Nachbarin will nicht so recht zum massiven Mobiliar und der Robustheit dieses behäbigen Hauses passen. Doch vielleicht schützt gerade diese solide Festung aus Stein ihre ruhelosen Nerven, ihren leichten Schlaf. Die Hände sind stetig in Bewegung, noch beim Sprechen glätten sie das Tischtuch, zupfen an der Serviette oder flattern herum wie junge Vögel, die nicht vom Boden wegkommen. Rastlos auch der Blick, unstet über den Haushalt wandernd, als ob es noch etwas zu tun gäbe.
    «Mein
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