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Steile Welt (German Edition)

Steile Welt (German Edition)

Titel: Steile Welt (German Edition)
Autoren: Stef Stauffer
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Mann macht alles um und am Haus. Er macht den ganzen Tag etwas, aber ich weiss nicht was. Es gibt mehr, was ich nicht weiss, als dass ich weiss, was er tut. Ich lasse ihn machen, dann sind alle zufrieden. Aber drinnen, da mache ich alles. Das ist meine Arbeit. Er lädt Gäste ein, ich bewirte sie. Ich bin nicht mehr gut zu Fuss. Alle diese Treppen machen mir zu schaffen. Aber ich kann nicht stillsitzen, muss immer etwas tun, mag mich nicht hinlegen, mich ausruhen. Ich brauche Bewegung. Dennoch bin ich selten unterwegs. Zum Glück haben wir ein Auto. Mit dem gehen wir einmal in der Woche zum Einkaufen, ab und zu zum Doktor. In jedem Dorf gab es früher einen Laden oder zwei. Und eine Post. Dann kam der Migroswagen, und die Läden machten zu. Nun kommt auch der Migroswagen nicht mehr, und die Läden sind immer noch zu, was schlimm ist für die Leute, die kein Auto haben.
    Es wird schnell gefahren die Strasse rauf und runter. Die Unsrigen, vor allem die Jungen, die haben keine Geduld. Das lernt man erst mit der Zeit. Wir lassen sie überholen. Sie kennen die Strasse und müssen selber wissen, was sie tun. Mit dem Fluss ist es das Gleiche. Als Kinder war es uns verboten, dort zu spielen. Wir konnten ja auch alle nicht schwimmen. Wo hätte man das lernen sollen. So war für uns der Talgrund immer etwas Unbekanntes geblieben. Aber auch wenn man ihn kennt, den Bach, muss man Respekt haben. Es gibt Strömungen, die sieht man nicht an der Oberfläche. Sie ziehen dich weg, wenn du tauchst. Und wenn ein Wetter kommt, dann schwillt er an, so schnell kommst du gar nicht weg. Es passieren immer wieder Unfälle. Aber wenn etwas passieren muss, dann passiert es. Ob man nun vorsichtig ist oder nicht. Das ist bereits alles aufgeschrieben und steht fest, wie es kommen wird. Zum Glück weiss man es nicht im Voraus. Leben und Tod liegen hier näher beieinander als anderswo. Das war schon immer so. Sterben ist genauso normal wie Geborenwerden. Der Tod gehört zum Leben, und man braucht sich davor nicht fürchten. Das einzige, was er bewirkt, ist dass man das Leben zu schätzen weiss. Man hat ja nur dieses eine. Nein, den Tod muss man nicht fürchten. Nur die Schmerzen. Wenn man nicht mehr liegen kann und in der Nacht nicht schlafen, weil einem alles so wehtut, das ist schlimm.
    Neulich ist ein Junge abgestürzt beim Wandern. Man hat den ganzen Nachmittag und Abend mit dem Rettungshelikopter nach ihm gesucht. Später auch noch in der Nacht, mit Suchscheinwerfern, bis nach Mitternacht sind sie geflogen. Am nächsten Tag haben sie weitergesucht. Da weiss man manchmal nicht, wo suchen, vor allem wenn jemand in den Fluss stürzt und vielleicht mitgerissen wird. Oder einer nicht gesagt hat, wohin er wandern will, oder wenn jemand vom Weg abgekommen ist. Da kann es sein, dass er nie mehr gefunden wird. Den Jungen haben sie aber dann glücklicherweise am Mittag gefunden. Verletzt, aber am Leben. Gar nicht sehr weit weg von der Strasse. Hier zu wandern, ist nicht ungefährlich. Es ist schnell etwas passiert. Ein falscher Schritt kann da schon genügen. Darum bin ich schon immer lieber im Haus geblieben.
    Ich koche und putze für uns und meinen Bruder. Der sagt nicht viel. Er zieht ein zurückgezogenes Leben vor. Zwar arbeitet er für die Gemeinde und setzt sich ein, dort, wo seine Dienste gefragt sind, aber nie will er in der Öffentlichkeit stehen oder im Vordergrund. Er ist zurückhaltend, bescheiden. Braucht keine Aufmerksamkeit. Redet nur wenig, auf jeden Fall mit mir. Ein Glück, wenn ich weiss, dass er nicht zum Essen kommt. Aber so sind sie, die Polizisten. Die haben gelernt, nichts zu erzählen. Das ist ihm wohl geblieben.
    Sonst wird viel geredet. Die Alten reden ausschliesslich Dialekt untereinander. Sechs Wörter brauche es hier, um uns zu verstehen, so sagte man immer. Fegn, ca, vaca, carva, tecc, soiá. Heu, Haus, Kuh, Ziege, Stall, Speicher. Die Kinder kennen das wohl nicht mehr. Früher waren das ja die Grundlagen unserer Existenz. Jedes Dorf unterschied sich vom nächsten durch seinen Dialekt und hatte seine eigene Aussprache. Man hörte sofort, woher jemand kam. Verstehen tat man sich natürlich trotzdem.
    Die Nachrichten im Tal haben sich immer schnell verbreitet. In jedem Dorf gab es ein Telefon. Das war auf der Post. Wenn man einen Anruf bekam, wurde man gerufen und konnte ihn dort entgegennehmen. So erfuhr dann meistens bereits das halbe Dorf, wenn es Neuigkeiten gab.
    Im Sommer verbringen wir ein paar Wochen auf den Monti,
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