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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition)
Autoren: Alex Reichenbach
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Die Zahlen waren ihm in Fleisch und Blut übergegangen. «Sven? Kannst du mal schnell bei den Standesämtern in Marl und Frankfurt recherchieren, ob möglicherweise eine Verwandtschaft zwischen dem Mainmädchen Jessica Gehrig und dem Werner Geibel besteht? Laut der Sabine Stolze hat das Mainmädchen sich bei ihr als die Enkelin von Geibel vorgestellt.»
    «Was? Ach, Unsinn.» Winter hörte Kettler gelangweilt gähnen. «Das muss ein Missverständnis sein. Passt zu dem, was mir diese Frau Steller erzählt hat. Wo das Mädchen am Freitag geklingelt hatte, weißt du.»
    «Wie bitte? Was hat die denn erzählt?»
    «Ach, das Mädchen hätte gesagt, sie sei eine verschollene Erbin des Hausbesitzers.»
    «Entschuldigung, Sven, warum steht davon kein Wort in deinem Protokoll?»
    «Wieso, das steht doch im Protokoll», verteidigte sich Kettler. «Jedenfalls so ungefähr.»
    «Im Protokoll stand, das Mädchen wollte Geld oder Unterkunft erbetteln.»
    «Ja, darum ging es doch letztendlich. Meinte jedenfalls die Steller. Das wäre eine Betrugsmasche gewesen, um Geld oder Unterkunft zu bekommen.»
    «Und bei den anderen Anwohnern, wo sie noch geklingelt hat?»
    «War es genauso. Überall die gleiche Geschichte.»
    Jetzt sah Winter klarer. In ihrem schlechten Gewissen musste Frau Stolze die vagen Ausführungen Jessica-Jeannette-Jennifers fälschlich so verstanden haben, dass sie die Enkelin von Werner Geibel sei. Das Mädchen hatte sich wahrscheinlich über die Gutgläubigkeit der Leute gefreut und alle Annahmen der Stolzes bestätigt, nicht ahnend, dass sie damit ihr Todesurteil besiegelte.
    «So, Sven. Hör mir gut zu. Wir sind bei der Mordkommission, nicht im Hühnerzüchterverein. Ich weiß nicht, wie man das bei der OK gehalten hat, wo du vorher warst, aber bei uns müssen die Protokolle jedes Detail enthalten, denn alle Details könnten wichtig sein, nur weiß man vorher nicht, welche. Das nächste Mal also bitte das Protokoll ausführlicher. Ist das angekommen?»
    «Ja, ja. Es war doch kein Schaden.»
    Winter verdrehte die Augen. Noch etwas, was mit der Aksoy trotz all ihrer Fehler nicht passiert wäre. Und Aksoy hatte so recht damit behalten, dass man die Main-Anwohner noch ein weiteres Mal hätte vernehmen müssen, ausgerüstet mit einem Phantombild der Toten. Da hätte sich dann herausgestellt, dass das Mädchen am Freitagnachmittag am Main von Tür zu Tür gelaufen war, also ganz kurz vor ihrem Tod. Die Ermittlungen hätten sich dann automatisch auf die Uferhäuser konzentriert – und ganz besonders auf jene Bewohner, die leugneten, das Mädchen jemals gesehen zu haben und nebenbei noch dicke Steine im Garten liegen hatten. Dass es die Manteufel gebraucht hatte, um sie auf den Steingarten der Stolzes hinzuweisen! Er musste das Fock klarmachen: Nie wieder durften sie eine Ermittlung derart auf Kante nähen wie diese.
    «Also, Andi, ich geh dann jetzt», erklärte Kettler durchs Telefon. «Hier liegt ja jetzt nichts mehr an.»
    Bis auf zig Aktenordner, dachte Winter. Er sah auf die Uhr: Es war gerade einmal vier.
    «Moment, Sven. Wir nehmen uns morgen früh den Bert Stolze vor. Bitte kläre noch mit den Kollegen, dass er um Punkt neun im Präsidium ist. Zur Vorbereitung brauchen wir noch ein paar Informationen. Erkundige dich mal bei der Fachhochschule, ob da ein Bert Stolze zwischen 1993 und 1996 einen Ingenieurabschluss gemacht hat. Und frag bei der Industrie- und Handelskammer nach, wie die Berufschancen für Ingenieure in den neunziger Jahren waren.» Winter fand die Geschichte vom unschuldig arbeitslosen Ingenieur sehr unglaubwürdig. «Also, das kann ich dir auch so sagen», verkündete Kettler. «Mein kleiner Bruder hat Maschinenbau studiert. Es hieß immer, da liegt die Zukunft. Als er fertig war, war der Arbeitsmarkt für Maschinenbauingenieure zu, total zu. Heute ist mein Bruder Immobilienmakler. Schweinezyklus nennt sich das. Erst herrscht Mangel, und sie stellen jeden Idioten ein, so wie heute bei Lehrern. Zwanzig Jahre später ist es umgekehrt, und du brauchst ’nen Einserabschluss, um überhaupt in Frage zu kommen. – Sag mal, Andi, die anderen Sachen, kannst du das selbst erledigen? Weil, ich hab um fünf ein Tennismatch.»
    Winter seufzte. «Und ich noch ein sehr, sehr langes Protokoll zu schreiben. Wenn du dich beeilst, bist du rechtzeitig fertig.»
    Er steckte das Handy weg. Als Gerd ging, hatte er geahnt, dass er mit dem Nachfolger nicht glücklich werden würde. Jetzt musste er sich sogar
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