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talon010

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Titel: talon010
Autoren: Der ewige Waechter
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Talon Nummer 10

    „Der ewige Wächter“

    von
    Thomas Knip

    Talon setzte seinen rechten Fuß auf die breite Steintreppe und starrte unentschlossen nach oben. Weit über ihm erhoben sich aus dem grünen Meer des Dschungels die erdfarbenen Tempelbauten, zu denen die Treppe hinaufführte.
    Er zögerte. Nachdem ihn das Rudel zurückgewiesen hatte, war er tagelang alleine durch die Savanne gezogen, ohne wirklich zu wissen, wohin er sich wenden sollte. T’cha hatte es ihm lange Zeit angekündigt, dass ihn die Löwen verstoßen würden. Doch nun hatte selbst sie ihn darum gebeten, sie zu verlassen.
    Seine Hände waren feucht vor Schweiß. Er atmete mit offenem Mund und versuchte sich ein wenig zu beruhigen. Die Entscheidung, hierher zurückzukehren, war ihm nicht leicht gefallen. Die Löwen waren die letzten drei Jahre über sein Halt gewesen. Er war nicht gewillt, zu den Menschen zurückzugehen. Jede Erinnerung, die er an die Zeit unter ihnen hatte, brach in Albträumen aus ihm hervor und verlosch dann am nächsten Morgen.
    Bevor er die nächste Stufe erklimmen konnte, näherten sich von oben drei Gestalten. Die Treppe reichte so weit empor, dass Talon sie zuerst kaum wahrnahm. Dann aber leuchteten ihre bunten Mähnen, die die kahlen Hinterköpfe schmückten, im Licht der Sonne. Es waren die Wachen Shions. Krieger, die nicht minder fremd in dieser Welt zu sein schienen als er selbst. Sie waren altertümlich mit kaum mehr bekleidet als einem knappen Lendenschurz und mehreren bunt verzierten Reifen und Bändern, die Arme und Beine schmückten. Jeder von ihnen trug einen langen Speer mit einer breiten Klinge, wie sie in dieser Gegend von keinem der noch ursprünglich lebenden Stämme benutzt wurde.
    Sie waren nur durch Nuancen voneinander zu unterscheiden. Talon erkannte den Mann in der Mitte inzwischen. Es war N’kele, der unter den Wachen eine gehobene Stellung einnehmen musste. Wie die anderen Männer begegnete er Talon mit einer Mischung aus Verachtung und Widerwillen. Keiner von ihnen war bis jetzt bereit zu akzeptieren, dass dieser Weiße ihren Herrn besiegt hatte.
    Der Blick war nicht weniger abweisend als zuvor, doch in den Augen des Farbigen erkannte Talon eine unausgesprochene Frage, gepaart mit einem unauslotbaren Interesse.
    „Shion erwartet dich“, setzte er unvermittelt an.
    Er schien sich nicht zu wundern, dass der Weiße wieder zum Tempel gekommen war. Die drei Männer drehten sich wortlos um und stiegen die Treppen empor. Keiner von ihnen achtete offenbar darauf, ob Talon ihnen tatsächlich folgte. Er tat es, mit mehreren Stufen Abstand zwischen sich und den Wachen.
    Der Anstieg dauerte mehrere Minuten. Talon ergriff ein seltsames Gefühl, als er höher in die Baumkronen vordrang. Vögelschwärme und kleine Reptilien erfüllten die Urwaltriesen mit einem vielstimmigen Leben in dem immergrünen Dämmerlicht. Diese kleine Welt fand abrupt ihr Ende, als die Männer die obersten Spitzen der Bäume unter sich zurückließen und die letzten Stufen erklommen. Der Himmel breitete sich über Talon in einem verwaschenen Blau aus. Dünne Wolkenfasern zerschnitten den Horizont in tiefen Pastelltönen.
    Am oberen Ende der Treppe hatten sich weitere Männer versammelt. Talon zählte etwa dreißig von ihnen, alles Männer, von denen keiner älter wirkte als er selbst. Während die meisten entlang der Balustrade Stellung bezogen hatten und ihren Blick in die Tiefe des Dschungels richteten, bildete gut ein Dutzend von ihnen ein Spalier, das zu einem offenen Tor in einen der gedrungenen Bauten führte.
    Es war kaum eine Woche her, dass Talon auf diesem Weg den Tempel verlassen hatte. Nun geleitete ihn N’kele zusammen mit den anderen beiden Wachen ins Innere. Sie führten ihn in einen lang gezogenen Saal, der von wuchtigen, grob behauenen Säulen gesäumt war. An dessen Ende erhob sich ein massives Podest aus dem Boden, und auf ihnen stand Shion. Hoch aufgerichtet wartete er ab, bis sich Talon ihm näherte. Die glutroten Augen beobachteten den Menschen jeden Augenblick.
    Er hatte nicht geglaubt, den schwarzen Löwen jemals wieder zu sehen. Talon wusste nicht, wie er dieses Wesen, das aus nicht mehr als Schatten und Nebeln zu bestehen schien, anders nennen sollte. Es hatte die Form eines männlichen Löwen, wenngleich viel größer als jedes Tier, dem er je begegnet war.
    [Du bist zurück] lösten sich die Worte grollend aus dem Schlund des Löwen. Sie hallten unausgesprochen in Talons Gedanken wider.
    „Du hast es
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