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Im Bann seiner Küsse

Im Bann seiner Küsse

Titel: Im Bann seiner Küsse
Autoren: Kristin Hannah
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    Prolog
    San Juan Island,
    Washington Territory, 1873
    Als Jackson Rafferty allmählich zu sich kam, lag er mit dem Gesicht nach unten auf dem fest gestampften Erdreich und streckte alle Glieder von sich. Einen Augenblick lang fühlte er sich, als erwachte er aus tiefem, erquickendem Schlaf. Dann erst traf ihn mit voller Wucht die Realität. Wieder ein Blackout.
    Eine Woge eiskalter Angst erfasste ihn. Seine Zähne schlugen aufeinander, er ballte unwillkürlich die Fäuste. Eine unbestimmte Angst, die er nicht genau benennen konnte, lauerte in der Tiefe seines Bewusstseins, steigerte sich mit jedem Herzschlag und formte sich schließlich zu einem einzigen, schrecklichen Gedanken. Es war der Gedanke, den er beim Erwachen immer hatte, dieselbe Furcht.
    Nein, dachte er verzweifelt. Nicht meine Kinder. Nie würde ich meinen Kindern etwas antun ...
    Lügner. Das Wort hämmerte in seinem Kopf. Ein leises, angstvolles Stöhnen kam über seine Lippen. Jeden Morgen sah er zuerst nach seinen Kindern, um sich zu vergewissern, dass er ihnen nachts nicht ungewollt etwas angetan hatte. Er wusste, dass es irrational war, Erbteil des grässlichen Albtraums aus seiner Vergangenheit. Obwohl angeblich geheilt, wurde er von diesen erschreckenden Bewusstseinsstörungen noch immer heimgesucht. Noch immer erwachte er angsterfüllt. Oh Gott...
    Als er sich zitternd auf Hände und Knie aufrichtete, überkam ihn Schwindel. Übelkeit zerrte an seinem leeren Magen.
    Er verharrte zusammengekauert und wartete darauf, dass das wohlbekannte Unwohlsein verginge. Allmählich konnte er wieder klar sehen. Hinter ihm stand eine Laterne auf der Werkbank und warf ihr helles, goldenes Licht in die Nacht. Er konnte die schattenhaften Umrisse zweier Boxen ausmachen. Der vertraute Geruch von modrigem Holz, Staub und frischem Heu stieg ihm in die Nase.
    Die Scheune. Er befand sich in seiner eigenen Scheune.
    Schlagartig fiel ihm ein, wie er hierher gekommen war. Sein Blick schoss zur Werkbank, auf der ein Kinderbettchen stand, halb fertig und vergessen. Säge und Hammer lagen auf dem Boden, wo er sie fallen gelassen hatte.
    Er hatte nach der Dose mit den Nägeln gegriffen, als das Unwetter ihn überraschte. Seine letzte Erinnerung war der plötzlich einsetzende Regenguss, der wie Geschützfeuer auf das Dach trommelte.
    Geschützfeuer.
    Erinnerungen katapultierten ihn in die Vergangenheit zurück. Mit zusammengekniffenen Augen kämpfte er gegen Erinnerungen und Gefühle.
    Aber es gelang ihm wieder nicht. Seine Anstrengungen reichten nicht aus, waren nichts weiter als unnütze Zeitvergeudung. Die Bilder bemächtigten sich seiner und sogen ihn in eine Depression hinein, so tief, dunkel und verzehrend, dass er sich nicht vorstellen konnte, jemals wieder herauszufinden. Lieber Gott, so konnte er nicht mehr weiterleben ...
    Schwer atmend und zitternd zwang Jack sich, mit unsicheren Beinen aufzustehen, und taumelte zur Werkbank. Dort war er und erwartete ihn, stumpf im Licht schimmernd. Sein Remington-Armeerevolver.
    Mit einem tiefen, beruhigenden Atemzug legte er die schwieligen Finger um den Griff der Waffe. Das kühle Metall wurde unter seiner Berührung warm und fühlte sich tröstlich und vertraut an.
    »So einfach.« Die Worte entschlüpften seinen Lippen, ehe es ihm bewusst war. Es würde so einfach sein. Ein Schuss, und das Elend hätte ein Ende. Seine Familie würde sicher sein.
    Er hob die Waffe. Sie schien schwerer zu werden, unangenehm schwerer. Die Muskeln seines Unterarmes strafften sich.
    Das kalte Metall an der Schläfe empfand er wie den Kuss eines alten Freundes. Als er leichten Druck ausübte, presste sich die Mündung in sein Fleisch; aus Erfahrung wusste er, dass sie auf der Haut einen kleinen runden Abdruck hinterlassen würde.
    Jetzt oder nie.
    Schweißperlen bildeten sich auf Jacks Stirn, liefen als warme Rinnsale in seine Augen und nahmen ihm die Sicht. Sein Finger zitterte am kalten stählernen Abzug.
    Tu es. Tu es, verdammt noch mal...
    Er verdiente den Tod. Seine Frau hatte es ihm tausendmal gesagt. Gott wusste, dass er den Tod wollte, ihn verdiente, danach lechzte. Alle wollten, dass er es täte.
    Ohne ihn würden sie es besser haben. Amarylis hatte dafür gesorgt, dass er es begriff. Savannah und Katie waren noch zu klein, um sein Versagen ganz zu verstehen, bald aber würde es so weit sein. Bald ...
    Und jetzt würde es wieder ein Baby geben, wieder ein unschuldiges Leben. Das Kleine verdiente etwas Besseres, als Jack
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