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Im Bann seiner Küsse

Im Bann seiner Küsse

Titel: Im Bann seiner Küsse
Autoren: Kristin Hannah
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Handfläche auf den Knopf.
    »Ist er derjenige, welcher?« Carols Stimme klang weich und trügerisch nahe.
    Tess nickte langsam, erschüttert und verwirrt von der Stärke des Gefühls, das sie empfunden hatte. Da sie ihr ganzes Leben isoliert und allein beobachtend zugebracht hatte, wusste sie wenig von stürmischen Leidenschaften und verzehrendem Liebeskummer. Und doch hatte sie, als sie in seine Augen blickte, echtes Leid darin gesehen und noch etwas mehr. Ein dunkles, schmerzendes Gefühl, das ganz im Gegensatz zu ihrem natürlichen Optimismus stand und sie erschreckte.
    An ihm war etwas gewesen, etwas in seinem niedergeschlagenen Blick, das ihr messerscharf durchs Herz fuhr. Sie hatte vor langer Zeit gelernt, in den Augen der Menschen zu lesen und hinter ihre Worte zu sehen, niemals aber hatte sie einen Blick in eine Seele getan, die in Agonie lag.
    »Ich weiß nicht«, murmelte sie. »Ich verspürte so viel ... Schmerz.«
    »Ich verstehe, Schätzchen. Sie waren immer schon eine Heilende. Viel Glück. Bei dem da werden Sie es brauchen.«
    Ein Hauch rosiges Licht, Rauchgeruch, dann nichts. Ohne zu fragen wusste Tess, dass sie wieder allein war.
    »Was nun?«, frage sie niemanden im Besonderen und ließ sich im Sessel zurücksinken.
    Nur war da kein Sessel. Kein Sessel, kein Boden, keine Wände. Nur ein unendliches Firmament in mitternächtlichem Schwarz, dessen Sterne so hell funkelten, dass die Augen schmerzten.
    Tess sauste am Mond vorüber und hörte nicht auf zu fallen.

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    2
    Schmerz. Unermesslich großer Schmerz.
    Tess lag völlig reglos da. Als sie zu atmen versuchte, spürte sie, dass auch diese einfache Körperfunktion schmerzte. Sie fühlte sich am ganzen Körper zerschlagen und gebrochen. Sogar ihre Brüste schmerzten.
    Warum? Warum fühlte sie sich so?
    Ein Bus hatte sie angefahren.
    Die Erinnerung war wie ein kräftiger Hieb in den Leib, so dass ihr Atem in einem scharfen Stoß entwich und ihre Lungen brannten. Kein Wunder, dass sie Schmerzen hatte. Sie konnte von Glück reden, dass sie mit dem Leben davongekommen war.
    Aber war sie am Leben?
    Bin ich tot?
    Ihr fiel ein, dass sie diese kleine leise Frage bereits gestellt hatte, erinnerte sich an den unendlichen nächtlichen Sternenhimmel und Carols Barfrauen-Stimme. Jawohl.
    So wie sie es sich gedacht hatte. Alles war nur ein Traum. Oder eine von schmerzstillenden Mitteln hervorgerufene Halluzination. Oder gar eine jener Beinahe-Todeserfahrungen, an die sich suchende Gemüter klammern.
    Als sie sich nur ein wenig bewegte, bereute sie es sofort. Glühend heißer Schmerz durchbohrte ihren Unterleib. Brechreiz quälte sie. Alle Gedanken an ein Leben nach dem Tod waren damit erledigt.
    Sie fühlte sich, als wäre sie von einem Bus angefahren worden.
    Alles war nur ein Traum gewesen. Es gab keine zweite Chance für Tess. Keine Familie, der sie angehörte, kein funktionierendes Gehör. Kein Mann vor einem Kinderbett, der die Hand ausstreckte.
    Das jähe Bedauern, das in ihr aufflammte, erstaunte sie. Sie hatte sich wirklich gewünscht, eine zweite Chance fürs Leben zu bekommen. Für die Liebe. In diesem ersten Leben würde sie niemandem fehlen.
    Enttäuscht schloss sie die Augen und sank in die Dunkelheit des Vergessens zurück.
     
    Sie träumte, dass sie hören konnte.
    »... Blutverlust... weiß nicht... nicht gut...«
    Tess arbeitete sich mühsam ins Bewusstsein zurück. Der Schmerz war noch vorhanden und nagte mit stumpfen Zähnen an ihrem Leib, nun aber erträglicher. Nach einem kurzen Dankgebet, das dem Gott der Narkose galt, zwang sie ihre Augen, sich zu öffnen.
    Sie lag in einem riesigen Bett und blickte zu einem Fußboden hoch. Konzentriert runzelte sie die Stirn und zwang ihre müden Augen, ihre Arbeit zu tun, und ihr ebenso müdes Gehirn zu funktionieren. Zwinkernd versuchte sie es noch einmal.
    Es war kein Fußboden, sondern eine Zimmerdecke aus Eichenbrettern.
    »Tot? Weiß nicht... möglich.«
    Tess schnappte nach Luft. Das hatte sie gehört! Sie kämpfte sich auf die Ellbogen hoch. Die Anstrengung ließ sie zittern, raubte ihr den Atem und bescherte ihr einen unvorstellbaren Schmerz. Ihr Kopf dröhnte. Ihr Blick fiel auf einen unbeweglichen dunklen Klumpen und konzentrierte sich darauf.
    Der Klumpen wurde zu einem Schatten, der Schatten zu einem alten Mann. Spärliches, graues Haar stand von seinem spitzen Kahlkopf ab. Eine Brille mit Drahtgestell thronte gewagt auf seiner Hakennase. Rot geränderte Augen starrten sie
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