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Staustufe (German Edition)

Staustufe (German Edition)

Titel: Staustufe (German Edition)
Autoren: Alex Reichenbach
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verzichten.
    Sie wusste auch schon, wie sie es anstellen würde. Sie würde einfach sagen: Ey, ich mag euch. Wegen mir müsst ihr nicht aus dem Haus. Weil, eigentlich wollte ich es für mich allein haben. Aber wir machen das anders. Ich ziehe bloß einfach bei euch ein. Ihr gebt mir das eine Zimmer, und das war’s schon.
    Auf dem Rücken liegend malte Jessica sich aus, wie es werden würde. Wie sie bald genau wie ein Kind von Bert und seiner Frau sein würde. Sie würde nie mehr allein sein und Angst haben. Und sie müsste auch nie mehr Angst vor Männern haben, die sie anfassen wollten. Mit dem Sebastian würde sie Theater spielen gehen. Das mit dem Theater gefiel ihr am besten. Schauspieler – cool. Am Ende würde Jessica eine berühmte Schauspielerin werden. Hollywood und so. Amerika. Aber hier würde alles anfangen. Hier in Frankfurt war der Beginn ihrer Karriere. Heute hatte ihr Schicksal die Wendung genommen, von der sie immer wusste, dass sie irgendwann kommen würde.
    Während Jessica sich ausmalte, wie wunderbar alles sein würde, döste sie allmählich ein. Wahrscheinlich schlief sie sogar schon tief. Aber irgendwann war da ein Geräusch, ein Tosen und Rauschen, dass ihr Bewusstsein wieder an die Oberfläche holte. Als ob ein Flugzeug direkt über sie fliegen würde. Direkt über sie. Es war wie ein böser Traum. Erst war es leise, dann wurde es lauter. Sie zwang sich, die Augen zu öffnen. Da war auch etwas über ihr, direkt über ihr, schwarz und mit Händen dran, und bevor sie noch richtig erkennen konnte, was sie da sah, setzte all ihr Erkennen für immer aus. Das Letzte, was Jessica bewusst hörte in ihrem Leben, das war ein Geräusch, wie wenn ein voller, nasser Blumentopf auf den Boden fällt. Danach litt sie schrecklich, aber das wusste sie schon fast nicht mehr.

    «Das Nächste, was ich weiß, ist, dass mein Mann mich weckte. Da war es erst sechs Uhr morgens, und ich war noch ganz benommen. Das Mädchen sei gestern Nacht noch weggegangen, hat er gesagt. Er hätte sie überzeugen können, dass bei uns nichts zu holen sei und sie keine Rechte habe. Aber wir seien natürlich jetzt in einer gefährlichen Situation, es könne noch was nachkommen. Ich solle unter keinen Umständen irgendjemandem erzählen, dass dieses Mädchen bei uns gewesen ist.»
    Es war ein Aufwachen aus einem bösen Traum, von dem man beim Erwachen feststellt, dass er wahr ist. Bert rüttelte an ihr, saß rittlings auf ihr wie ein Albdruck, als sie die Augen öffnete, und sah sie mit zornverzerrtem Gesicht an.
    «Sabine! Was hast du genommen? Man bekommt dich ja nicht wach! Du dumme … du verdammte … was verdammt noch mal hat das Mädchen zu dir gesagt, als du gestern die Tür aufgemacht hast?»
    «Aber das weißt du doch. Sie wäre die Enkelin von Werner Geibel …»
    «Das hat sie gesagt? Wörtlich? Du machst die Tür auf, sie steht da und sagt: ‹Ich bin die Enkelin von Werner Geibel›? Garantiert nicht. Denk nach. Was hat sie wirklich gesagt? Jedes Wort, von Anfang an.»
    «Ich … sie würde Jeannette heißen und ich würde sie nicht kennen, weil sie lange im Ausland gewesen wäre, und mit ihren Eltern will sie nichts zu tun haben, aber zu Geibel hätte sie immer ein gutes Verhältnis gehabt und sie wüsste, der hätte ihr das Haus vererbt und das würde jetzt ihr gehören. So habe ich das jedenfalls verstanden.»
    «Sabine! Ich will nicht wissen, was du verstanden hast mit deinem Spatzenhirn! Ich will wissen, was du gehört hast. Was sagte sie, wörtlich?»
    «Bert, bitte. Ich weiß es doch nicht mehr. Ungefähr das, was ich dir eben gesagt habe.»
    «Tatsächlich? Nannte sie den Namen Werner Geibel?»
    «Nein, ich glaube nicht. Sie sprach von ihrem Opa.»
    Bert, der sie die ganze Zeit an den Schultern gepackt gehalten hatte, ließ los, starrte sie von oben wütend an, ließ sie sein volles Gewicht auf ihrem Becken spüren. Dann plötzlich holte er aus und schlug ihr ins Gesicht, einmal, zweimal, so fest, dass sie Sterne sah. Sabine stand unter Schock. Niemals war das vorgekommen. Niemals zuvor hatte Bert sie geschlagen. «Herrgott!», brüllte er und irgendwas von dummer Kuh. Sie wimmerte. Bert sprang nun vom Bett auf, tigerte im Raum hin und her, sah sie nicht an, hielt sich den Kopf. «Denn sie wissen nicht, was sie tun», murmelte er. «Denn sie wissen nicht, was sie tun.» Dann stellte er sich ans Fußende des Bettes, legte die Hände auf den Rand des Holzgestells, sah sie ernst an.
    «Soll ich dir was sagen?
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