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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Autoren: Christoph Fromm
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floss ihm in die Augen. Sie s ollten endlich aufhören ihn zu schlagen. Aber sie hörten nicht auf. Er begriff nicht, dass es nur sein eigenes Herz war, das noch schlug.
    Er schob sich seine Pistole in den Mund, tief in den Schlund, bis er kaum noch Luft bekam. Und drückte ab.
    Leeres Klicken.
    Er blieb liegen, die Pistole im Mund, als erwartete er, dass der Tod noch kam. Einige Russen ginge n auf ihn zu. Rollos Augen richteten sich auf die Gewehrmündung eines Mongolen. Er wartete auf die feindliche Kugel, doch der Mongole schoss nicht.
    Sie denken, dass ich mich selbst erschieße, dachte er, als wäre das ganz selbstverständlich. Sie konnten nicht wissen, dass er keine Kugel mehr hatte. Er nahm die Pistole aus dem Mund und legte sie in den Schnee.
    Der Mongole sah die vielen goldenen Ringe an seinen Händen. Er lachte, bückte sich und riss ihm die Ringe von den Fingern. Dann zog er ihn am Kragen hoch, schlug ihm fast freundschaftlich auf die Schulter und stieß ihn zu den anderen Gefangenen.
    Rollo spuckte Blut aus, verzog schmerzlich den Mun d. Die anderen wussten nicht, ob er lachte oder weinte. Es interessierte sich auch niemand dafür. Wahrscheinlich wusste er es selbst nicht.

 
     
     
     
     
     
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    F ritz hatte um das Feuerblech eine Zeltplane gehängt, damit sich die Wärme nicht so schnell im Raum verflüchtigte. Letzte Hoffnungen und Heizmaterial schwanden dahin. Zusammengekauert saßen sie um die qualmende Glut.
    Vielleicht hatte Musk recht gehabt. Vielleicht wäre es leichter gewesen, draußen einen schnellen Tod zu sterben.
    Hans warf Gross einen verstoh lenen Blick zu. Gross würde weitergehen, weiterhin warten, bis er umfiel. Sein Selbsthass war so groß, dass er sich nicht einmal die Gnade eines schnellen Todes gönnte. Würde er mit ihm gehen? In die Kriegsgefangenschaft? Und wozu? Er stellte sich die Fragen, als gingen sie ihn nichts an.
    »Wir warten auf neuen Wahnsinn wie auf Regen«, sagte Gross irgendwann. »Aber es ist eine große Dürre ausgebrochen in unseren Köpfen.«
    »Jetzt is aus«, murmelte Fritz. »So oder so.« Er wünschte sich plötzlich, krank zu sein, hohes Fieber zu haben, jedenfalls nicht mehr denken zu müssen. Vor allem nicht normale Gedanken. Sie waren nicht auszuhalten. »Wenn du als Soldat verreckst, ist die Mutter wenigstens stolz auf dich«, fuhr er fort. »Als Deserteur biste die letzte Sau. Kriegt sie nicht mal die Rente ausgezahlt.«
    »Du kannst jetzt für die Schw eine nicht noch den Kopf hinhalten«, murmelte Hans.
    »Nicht für die. Nicht mal für mein Alten. Der mit seinen Gäulen hat mich nie kapiert. Aber meine Mutter hat mir jeden Sonntag den Rücken geschrubbt, wo ich f ür alle andern immer nur der Dicke war, für euch auch, und deswegen geh ich jetzt da raus und verreck für meine Mutter, ganz privat.«
    Er stand auf, nahm seine Waffe und tappte zur Treppe. Hans verstellte ihm den Weg. Fritz schüttelte den Kopf.
    »Du kannst jetzt nicht einfach aufgeben!«, schrie Hans. Ein Hustenanfall krümmte ihn. Fritz klopfte ihm verlegen auf den Rücken. Hans sah keuchend auf. »Stimmt, wir verstehen uns nicht, aber wir mögen uns. Manchmal ist’s vielleicht nur blöde Sentimentalität, dann wieder sind wir eine Notgemeinschaft, ja. Aber, verdammt noch mal, wir müssen stolz darauf sein, dass wir endlich Nein gesagt haben! Dass wir uns nicht mehr länger von diesen Schweinen verheizen lassen. Sonst bleibt uns nichts mehr, und es ist wichtig. Auch wenn nie jemand davon erfährt, für uns ist es wichtig! Und du warst der Erste, der es gesagt hat. Weißt du noch, in der Drecksbrühe?«
    Verlegen brach er ab. Es war al lzu offensichtlich, dass er versuchte, vor allem sich selbst zu überzeugen.
    »Das ist der Unterschied zwischen uns«, sagte Fritz. »Trotz allem willst du immer ’n Held sein. Ich wollte das nie. Und wenn ich jetzt tot bin, is mir wurscht, ob ich bis zuletzt stolz auf mich war oder nicht. Für mich ist wichtiger, dass meine Mutter die Rente kriegt. Mach’s gut, Hans!«
    Er schob seinen ehemaligen Leutnant sachte beiseite und stieg die Treppe hoch. Hans sah Gross Hilfe suchend an, doch er konnte ihn nur undeutlich im Qualm neb en der schmalen Gestalt der Russin sitzen sehen.
    Plötzlich hatte er eine letzte verzweifelte Idee. Er stolperte Fritz hinterher, hielt ihn fest. »Es gibt noch einen Ausweg!«
    »Ja? Sibirien? Mir war’s hier kalt genug.«
    Hans schüttelte den Kopf. »Sie kann uns rausführen.« Ehe Fritz widersprechen
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