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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Autoren: Christoph Fromm
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mit Clara. Durc h ihre Vitalität und Geradlinigkeit fühlte er sich oft wie erdrückt, aber mit jedem Tag und jedem Kilometer, die das Schicksal zwischen sie legte, vermisste er sie mehr, und so führte ihm nun der Schwung der Sehnsucht die Feder:
     
    Liebste Clara,
    Ich muss mal kurz nach Russland fahren, »the rest is silence.«
     
    Im Gegensatz zu seinen Untergebenen genoss er als Offizier das Privileg, zumindest das Land zu ke nnen, in dem sie eingesetzt werden sollten.
     
    Du wirst mir also erst einmal nicht mehr schreiben können, das heißt, schreiben kannst Du mir natürlich, aber es wird eine Zeit dauern, ehe ich Deine Briefe in Händen halten werde. Wird es schlimm sein?
    Ich bitte Dich, mir zu verzeihen und meine Freude zu verstehen. Die Unklarheit der letzten Monate ist verflogen, mein Leben ist plötzlich ganz Aufgabe, Ziel. Du weißt, wie vieles mir Lüge war, und ich weiß um den Kummer, den Du meinetwegen hattest, aber mit jedem Meter näher zur Front verfliegt meine so verhasste Melancholie, mein Schwanken, und all die großen Gefühle, für die ich zu klein zu sein glaubte, Gefühle vor allem auch zu Dir, brennen wieder in mir, als sei die Flamme niemals zur Glut verkommen.
    (Die Metapher, nach der er gesucht hatte.)
    Könntest Du mich jetzt sehen, inmitten all dieser prächtigen Landsknechtsnaturen, die meine Untergebenen sind und die ich bereits jetzt liebe, gerade weil ich weiß, dass ich bei ihnen nur durch Leistung bestehen kann, nun, Du würdest vor allem die Nase rümpfen wegen des Gestanks.
     
    Er hob den Blick vom Papier und ließ ihn über einige vorübergleitende Weinberge schweifen. Fritz und Rollo hatten inzwischen im Getümmel am Strand Lupos Gespielinnen entdeckt. Sie hatten bereits neue Verehrer gefunden, mit denen sie durch die Wellen turnten. Dabei benutzten sie denselben Reifenschlauch wie am Tag zuvor. Rollo winkte den beiden zu.
    »He. F ritzchen, wie hießen die noch?«
    »Wenn du’s mir nicht sagst …«
    Fritz verzog das Gesicht. Irgendwie hatte er geglaubt, dass es für die Mädchen etwas Besonderes wäre, mit jemandem schwimmen zu gehen. Ficken taten sie mit jedem, das war klar, aber schwimmen war doch was anderes. Er hatte geglaubt, dass sie ihn mochten, aber es waren eben nur Nutten.
     
    Rollo nahm noch einen Schluck Bier und lehnte sich weit aus dem Fenster des dahinkriechenden Zugs. Vielleicht konnte er sich so einbilden, dass hinter ihm sein Oberleutnant saß und nicht dieser junge, arrogante Schnösel, der sie von nun an führen würde, obwohl er außer einer kurzen Frontbewährung in Afrika nur die Kriegsschule hinter sich hatte. Er glaubte wieder, das leise Quietschen von Lupos Rollstuhl zu hören, und prostete den Mädchen zu.
    »He, Alte!«
    Er versuchte sich einzureden, dass sie sowieso nicht so viel hergemacht hatten, und nahm sich ein neues warmes Bier. Wirklich zufrieden war man sowieso nie. War man bei seiner Frau, wollte man bei einer Hure sein, war man bei einer Hure, wollte man seine Frau. Lag man in einem dreckigen Graben, sehnte man sich nach einem ruhigen Fleckchen Erde und einem kühlen Bier, und war man dann dort, sehnte man sich zwar nicht gerade nach Dreck, aber doch nach diesem Gefühl, dass es gerade noch mal gut gegangen war, während es den anderen erwischt hatte und man den eigenen Herzschlag in den Schläfen spürte. Er streichelte seine Nahkampfspange und winkte den Mädchen noch mal zu.
    Endlich bemerkten ihn die beiden, zogen es aber vor, ihn nicht zu kennen. Die Zierlichere mit den Antilopenbeinchen stülpte ihrem neuen Verehrer den Schwimmring über die Schulter, hängte sich dran und ließ sich durchs Wasser schleifen.
    »Wahrscheinlich benutzen sie die Pariser auch mehrmals«, sagte Rollo. Sein Kopf entkam nur knapp einem Telegrafenmast. »Nimm dir wenigstens ’nen Flieger«, schrie er, »und nicht so’n halbes Hemd vom Nachschub, der fällt dir ja runter!«
    Die andern Landser im Zug lachten. Rollo sonnte sich im Beifall der Kameraden. »Häng ihr bloß nichts an, du Pfeife, ich komm nämlich wieder!« Das Gelächter wurde noch lauter.
    Rollos Stimmung schlug plötzlich um. Warum lachten die Idioten so blöd?
    »Ich komm wieder, ihr Arschlöcher, ich komm wieder!«, brüllte er und senkte betreten den Kopf, als er plötzlich die Blicke der anderen spürte. Dann fühlte er die Hand des Dicken auf seiner Schulter.
    »Unser Schwimmring«, sagte Fritz leise.
    Rollo nickte.
     
    Zwei Päckchen Zigaretten danach dampfte der Zug
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