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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Autoren: Christoph Fromm
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Werkzeugkisten. Diese feinen Pinkel drehten es immer so, dass man sich beschissen fühlte. Immer. Nur an der Front war es anders. Er nahm einen weiteren Schluck Bier und freute sich auf den Krieg.
     
    Die Landser hatten sich derart auf Rollo und den Leutnant konzentriert, dass sie gar nicht bemerkt hatten, wie der Zug hielt. Fritz entdeckte ein Schild im Halbdunkel: »Budapest – 500 Kilometer«. Er hatte plötzlich ein mulmiges Gefühl. »Sieht verdammt nach Südabschnitt aus.«
    »Wohin denn sonst?«, bru mmte jemand. »Willste Urlaub machen?«
    Man einigte sich darauf, dass alles halb so schlimm sei – der Iwan pfiff aus dem letzten Loch. Am besten möglichst weit nach Süden, da war’s am wärmsten.
    Der Leutnant war der Erste, der den Namen Stalingrad ins Spiel brachte. Alle drängten sich um ihn und verlangten Auskunft. Er zuckte mit den Achseln. Es war nur eine Vermutung.
    »Stalingrad ist doch längst genommen«, meinte Rollo, hauptsächlich, um dem Leutnant zu widersprechen.
    »Nicht ganz«, antwortete dieser und wandte sich wieder seinem Buch zu.
    Die meisten Männer reagierten gelassen, und die ängstlichen schwiegen.
    »Na schön, haue n wir dem Iwan eine aufs Fell.«
    »Aber bitte noch vorm Winter!«
    Edgar tätschelte Fritz den Hinterkopf. »Unser Kleiner kriegt sonst Schnupfen.«
    »Hab empfindliche Füße, du Arsch. Auf’m Bock krieg ich jeden Winter Frostbeulen.«
    Fritz dachte kurz an einen der beiden Lkws in der heimischen Spedition. Sein Alter richtete es immer so ein, dass im Winter er den mit der kaputten Heizung fuhr. Trotzdem dachte er einen Moment lang wehmütig an zu Hause.
    Rollo hatte auf einmal wieder gute Laune. »Fritzchen, so ’ne lumpige Stadt, das machen wir in drei Tagen, und dann hauen wir uns auf die Krim. Da gibt’s Tartarenmädchen …«
    Fritz war nicht so leicht zu beruhigen. »Du redest wieder ohne jede fundierte Sachkenntnis. Die besten Frauen in Russland sind Georgierinnen.«
    »Das haste wohl aus deinem Autoatlas.«
    »KdF-Reisehefte, du Arsch, Kultur …«
    »Komm, du weißt ja nicht mal, wie man das buchstabiert.«
    »Aber du!«
    »Ich war auf’m Gymnasium, kurzzeitig …«
    Fritz und Rollo brachten in Gemeinschaftsarbeit den Waggon wieder unter ihre Kontrolle.
    »Die Betonung liegt auf kurzzeitig!«
    »Ich hab Latein gehabt, du Die selknecht! Merito, mit Recht …«
    »Buchstabier’s bitte nicht …«
    Gelächter, die Stimmung stieg, und der Zug fuhr wieder an.

 
     
     
     
     
     
    3
     
     
    D ie Sonne ging zweimal auf und wieder unter, bis man den Dnjepr bei Dnjepopetrowsk auf der einzigen noch intakten Eisenbahnbrücke passierte. Über diese Brücke rollte der gesamte Nachschub für die Heeresgruppe A, die ihre Fahne inzwischen auf dem Elbrus im Kaukasus gehisst hatte, und das Kanonenfutter für die sechste Armee, die sich nach wie vor in die Trümmer von Stalingrad verbiss.
    Zwischen Heeresgruppe A und sechster Armee klaffte ein Niemandsland von dreihundert Kilometern – eine militärische Fehlleistung, die, wenn schon nicht dem »größten militärischen Genie der Weltgeschichte«, so doch seinen weniger begabten, dafür aber besser geschulten Untergebenen hätte auffallen müssen. Allerdings war der Generalstab zu dieser Zeit bereits gründlich von kritischen Geistern gesäubert, und so konnte man ungestört auf die unvermeidliche Katastrophe hinarbeiten.
    Die Männer um Leutnant von Wetzland im letzen Waggon des Zuges ahnten noch nichts von kommenden Katastrophen; sie waren mit naheliegenderen Dingen beschäftigt. Einige Helden hatten bereits die Scheißerei.
    Der Zug schlich durch die monotone russische Steppe. Fritz baute sich ein Ruhelager aus einigen Materialkisten.
    Rollo machte ihm missmutig Platz. »Mensch, kannste dich nich auf’n Boden legen wie die andern auch?«
    Leutnant von Wetzland versuchte sich mit einer weiteren Seite an seine Verlobte Clara von einer beginnenden Durchfallerkrankung abzulenken:
     
    Russland! Zweitausend Kilometer liegen jetzt bereits zwischen uns. Die Weite des Raums lässt einen ehrfürchtig staunen. Draußen tobt ein frischer Wind, den man in der Heimat wohl als Sturm bezeichnen würde, aber hier wird eben alles kleiner. Vorhin sah ich die wütenden Wolken, und ich sah einen Vogel, der ihnen entgegenflog …
     
    Ein neuer heftiger Magenkrampf ließ ihn den Faden verlieren. Hoffentlich kam bald die nächste Station! Er konnte unmöglich dem Beispiel der anderen Männer folgen und den Kübel in der Ecke benutzen.
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