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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Autoren: Christoph Fromm
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durch die bereits herbstlich belaubte Berglandschaft Südtirols.
    »Das hat auch alles mal uns g’hört«, sagte ein geschichtsbewusster Landser.
    Die anderen soffen lieber billigen Rotwein. Blähungen waren nur noch gestattet, wenn man den Arsch dabei aus dem Fenster hielt.
    Leutnant von Wetzland komponierte noch einige Zeilen:
     
    Wir sind jetzt kurz vor Meran. Das glühende Laub der Weinberge umgibt mich ganz, und mit meiner Aufregung flüchte ich mich kurz in eine weitere Seite an Dich. Vielleicht wird ein leichtes Lächeln über Deinen »kleinen Verrückten« jetzt Deine zauberhafte Nase kräuseln, o ja, bitte – aber lach nicht zu sehr, denn was Du in deiner Musik gefunden hast, Dein Bruder möglicherweise in der Religion, Zufriedenheit, Ruhe des Herzens, das suche ich jetzt im Krieg. Ja, warum nicht im Krieg? Denn was für ein schöneres, entschiedeneres Leben kann es geben als das im ständigen Kampf auf Leben und Tod?
     
    Der Zug verschwand in einem Tunnel.

 
     
     
     
     
     
    2
     
     
    S echsunddreißig Stunden später fand man sich in einem neuen Waggon wieder, der an einen Munitionszug angehängt worden war. Die Neuaufstellung des Bataillons war zügig vonstattengegangen; die Front brauchte dringend Ersatz.
    Leutnant von Wetzland, nach wie vor beseelt von seiner stündlich fortschreitenden Metamorphose zum Frontkämpfer, war erstaunt gewesen, dass man es nicht für nötig gehalten hatte, die neuen Leute aufeinander einzuspielen, um eine schlagkräftige Truppe zu formen. Doch sein neuer Vorgesetzte r, ein mürrischer älterer Hauptmann, dessen frische Gesichtsnarben Fronterfahrung verrieten, hatte ihn barsch und formlos zur Eile beim Ausfüllen der notwendigen Formulare angetrieben.
    Dann war es, tief in der Nacht, losgegangen, in allgemein östlicher Richtung; wohin genau, wussten die Landser noch nicht. Wilde Gerüchte, die von der bevorstehenden Eroberung Persiens und einer Vereinigung mit Rommels Armee bis zu einem Durchmarsch nach Indien reichten, machten die Runde. Immerhin, man hörte jetzt auf den Namen »Sturmpionierbataillon 125«, war angeblich spezialisiert auf Straßenkämpfe und fraglos eine Elitetruppe. Dafür standen die teilweise hochdekorierten Männer, die neben dem Leutnant saßen. Überlebende siegreicher Schlachten. Polen, Frankreich, Jugoslawien, Griechenland, Afrika. Einige auch mit Russlanderfahrung. Man tauschte Erinnerungen aus.
    Leutnant von Wetzland unterbrach den Brief an seine Verlobte, der inzwischen literarische Ausmaße angenommen hatte, und hörte den Männern gebannt zu, dere n Gesichter vom Schein des Kanonenofens beleuchtet wurden. Sein Zug! Männer, mit denen man kämpfen konnte. Er bereute keine Sekunde, dass er vor der Abfahrt den Wunsch geäußert hatte, im Waggon mit seinen Leuten und nicht mit den Offizieren zu fahren. Das Stampfen der Lok in der wolkenlosen Nacht übertrug sich auf verzurrte Werkzeugkisten, auf das Gepäck, die Tornister, gab seinem Blut und dem der Männer denselben Rhythmus. Gemeinschaftsgefühl durchflutete ihn.
    Rollo war weniger glücklich. E r warf wütend sein Blatt auf einen Vierkantschädel, der einem etwas begriffsstutzigen Schwaben namens Edgar gehörte. »Mensch, kannste nich mitzählen? Was butterste jetzt die Zehn rein, wo doch klar is, dass er noch die Sau hat!«
    Edgar, der das zweifelhafte Glück genoss, von Fritz und Rollo in die Grundbegriffe des Skatspiels eingewiesen zu werden, sammelte bedächtig die Karten ein. Fritz war damit beschäftigt, seine Punkte zu zählen.
    »Neunundfünfzig, zweiundsechzig … Ohne vier spielt fünf, verloren zehn …«
    »Kontra zwanzi g.« Das »Kontra« kam von Rollo.
    »Macht zweihundert Miese für jeden von euch.«
    Edgar notierte das Ergebnis sorgfältig auf einem Zettel. Er hatte nach einer Dreiviertelstunde genau zweitausenddreihundertvierunddreißig Miese. Er war zwar Schwabe, aber er war auch Kamerad. Deswegen spielte er weiter.
    Rollo nahm seinen Punktestand weniger gelassen hin. »Mit ’m Lupo hätte der Dicke das Spiel nie durchgebracht! Der hat mit seinem kompletten Dachschaden besser gespielt als du.«
    »Ist doch Schnee von gestern. Der Edgar lernt’s schon noch.« Fritz bediente sich ungefragt aus Edgars Zigarettenschachtel, der, sparsam wie er war, als Einziger noch Kurmark hatte, während alle anderen längst auf Juno umgestiege n waren. »Am Anfang macht jeder ’n paar Miese. Gegen mein genialen Spielfluss kommt der Rollo einfach nicht an. ’s is jedes Mal wieder
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