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Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben

Titel: Stalingrad - Die Einsamkeit vor dem Sterben
Autoren: Christoph Fromm
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ein Schock für ihn.«
    »Halt die Fresse! Weiß inzwischen irgendjemand, wo der Scheißzug hinfährt?«
    Edgar, der ursprünglich zur Marine gewollt hatte und auf dessen Brust ein Dreimaster eintätowiert war, hatte seine Hoffnung, wenigstens einmal in seinem Leben das Meer zu sehen, noch nicht aufgegeben. »Ich hab gehört, ’s geht an Kanal, wir springen den Engländern ins Kreuz.«
    Großes Gelächter. Wenn dem so war, fuhr man schon seit drei Stunden in die falsche Richtung.
    »Gebt dem Kruschtsammler mal’n Kompass!«
    »Er hat doch recht, die verdammten Tommies müssen endlich dran glauben!«
    »Ja, sicher, und in Paddelbooten fahrn wir rüber.«
    Rollo nahm Fritz zur Strafe d essen Bierflasche weg. »He, Vorsicht, alter SA-Mann!«
    »Ja ja, die Flaschen hoch , die Augen fest geschlossen …«
    »Halten Sie den Mund, Obergefreiter, und setzen Sie sich auf den Körperteil, der Ihre Persönlichkeit am entscheidensten geprägt hat«, sagte der junge Leutnant, ohne von seinem Buch aufzusehen.
    Fritz konterte unter dem Geläc hter der Landser mit einem Kopfstand in der Ecke des Waggons. Auch der Leutnant konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, bevor er rasch umblätterte und weiterlas.
    Rollo warf ihm einen bösen Blick zu. Dem würde das Lachen schon noch vergehen! Saß hier mit ihnen im Mannschaftswaggon und versuchte auf Kameradschaft zu machen. Hoffentlich war er an der Front auch immer so nah bei ihnen.
    Inzwischen versuchte Fritz, auf dem Kopf stehend, mühsam einen Schluck Bier zu trinken. »So steigt das Bier direkt in Kopf«, gurgelte er. »Birne wie ’n Luftballon, vollkommen neues Lebensgefühl, afrikanisch, wie der Mufti auf’m Kamel.«
    Rollo leerte seine Flasche au frecht stehend. Grimmig betrachtete er den blonden, penibel zurückgekämmten Schopf des Leutnants. »Wo waren denn die ganzen Lackaffen und Grünschnäbel, als wir dreiundzwanzig marschiert sind?« Er war damals fünf Jahre alt gewesen, was ihn jedoch nicht daran hinderte, seine leere Flasche so wütend auf den Leutnant zu richten, als wäre er persönlich beim Münchner Putsch mitmarschiert. »Die haben die Flachwichser bezahlt, die unseren Leuten von der SA den Schädel eingeschlagen haben.«
    »Streichle ihn einer, sonst heult er«, empfahl Fritz den anderen.
    »Aber mit diesen feinen Herrschaften wird der Führer nach dem Endsieg als Erstes aufräumen!« Rollo schwankte und kippte mit dem Oberkörper gegen die Wand des Waggons. »Im Grunde sind das lauter Juden!«
    Edgar packte ihn am Arm. »Jetzt hörst auf, ja?« Ängstlich blickte er zu dem jungen Leutnant hinüber, der jedoch so tat, als hätte er nichts gehört.
    Rollo schüttelte Edgars Hand ab. Plötzlich stand er in tadelloser Haltung dicht vor dem Leutnant.
    »Herr Leutnant, gestatten Sie mir , dass ich Ihnen eine Wette vorschlage?«
    Der Leutnant hob die Augenbrauen und musterte ihn langsam von oben bis unten. »Aber bitte keine Trinkwette.«
    Am Anfang seiner Ausbildung hatte er immer wieder Angst gehabt, er könnte einmal einer Situation nicht gewachsen sein, es könnte sich jemand seinem Befehl widersetzen – aber das war bisher nie vorgekommen. So war er rasch selbstsicherer geworden und betrachtete es inzwischen als willkommene Herausforderung, seine Persönlichkeit im Umgang mit möglichst schwierigen Untergebenen weiter zu festigen.
    Rollo spürte, dass er unter dem Blick seines Vorgesetzten rot wurde. »Ich wette mit Ihnen«, stieß er hervor, »dass ich den Krieg überlebe und Sie nicht!«
    Plötzlich war es ganz still im Waggon. Fritz stellte sich wieder auf die Füße. Alle Blicke waren auf den neuen Leutnant gerichtet, der sie mit unterschwelligem Spott musterte.
    Er wusste, was sie erwarteten und richtete seinen Blick direkt in Rollos leicht gerötete Augen.
    »Was setzen Sie?«, fragte er sachlich.
    Rollo, der bereits fest mit einer barschen Zurechtweisung, wenn nicht Bestrafung gerechnet hatte, k niff überrascht die Augen zusammen. Das hatte er sich nicht überlegt. Verzweifelt suchte er nach etwas, womit er seine ganze Verachtung ausdrücken konnte. Es fiel ihm nichts Rechtes ein.
    »Um zwei Kisten Mineralwasser, wenn Sie wollen.« Trotzig streckte er seine Hand aus.
    Der Leutnant ergriff sie, drückte sie kurz und höflich.
    »Und wie soll der Verlierer zahlen ?«, fragte Fritz. »Musst ’n Testament machen, Rollo.«
    »Ach, halt die Fresse!« Rollo riss einem grinsenden Landser die Bierflasche aus der Hand und verkroch sich missmutig zwischen zwei
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