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Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben

Titel: Stadtlust - vom Glueck, in der Großstadt zu leben
Autoren: Katja Barbara und Trippel Schaefer
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zum Staunen gebracht. Rollt unser Auto an, huschen sie an die Hecken und gucken. Dass drei Freundinnen sich eine Datsche teilen und jede kommt, wann und mit wem sie Lust hat, das haben unsere nächsten Anrainer bis heute nicht verwunden. »Wie soll denn das gehen?«, fragte Herr W. von gegenüber fassungslos. Dass wir unseren Schreibtisch im Büro, das Auto und sogar die Putzperle mit Freunden teilen, je nach Bedarf, haben wir ihm lieber verschwiegen. Nur Carola, unsere direkte Datschen-Nachbarin, die ihren Garten mit Hingabe verwildern lässt und auch sonst eine astreine Eigenbrödlerin zu sein scheint, erträgt uns mit Fassung: »Hauptsache ihr lernt irgendwann, Kamille von Margeriten zu unterscheiden.«
    Auf dem Dorf anders zu sein als die anderen, dazu gehört Mut. Man muss es sich trauen, die Hecken nicht quadratisch zu schneiden, den Rasen als Wiese wachsen zu lassen, sonntags Wäsche aufzuhängen und dabei die Socken nicht paarweise auf der Leine zu sortieren. In der Stadt kräht danach kein Hahn. In der Stadt grüne Haare zu haben, im Smoking einzukaufen oder barfuß auf der Straße zu gehen – kein Problem. Anything goes. Um aufzufallen, muss man sich schon was Besseres einfallen lassen. Oder wie der irische Schriftsteller Oscar Wilde sagte: »In der Stadt lebt man zu seiner Unterhaltung, auf dem Land zur Unterhaltung anderer.«
    Tempelhofer Damm, wir nähern uns der Heimat. Unserem Kiez.
    Ich gehe durch den Hinterhof – und keine einzige Gardine beginnt zu wallen. Ich klingel auf dem Weg nach oben bei D., sie drückt mir einen Stapel Post in die Hand. D. gießt auch meine Blumen, wenn ich verreise, dafür liest sie meine Tageszeitung mit. Hilfsbereitschaft und Nachbarschaftshilfe werden gemeinhin mit dem Dorfleben in Verbindung gebracht. Wenn einer Dachdecker ist, wird er bei vielen das Dach decken. Auch beim befreundeten Klempner. Und bei dessen Bruder, dem Metzger. Eine Hand wäscht die andere.
    Im städtischen Mehrfamilienmietshaus leben nicht so viele Handwerker mit eigenem Betrieb. Auf engstem Raum wohnen und arbeiten hier Handwerker und Akademiker, Menschen mit Migrationshintergrund aus Schwaben oder aus Anatolien, Alte und Junge. Man hilft sich trotzdem, mit einer Flasche Wein, mit Backpulver, mit Aspirin. In Datschendorf hingegen hat noch nie ein Nachbar um ein paar Nudeln gebeten oder auch nur um ein Ei. Entweder sind die einfach besser organisiert mit ihrem wöchentlichen Großeinkauf, oder das gehört sich nicht.
    Der Balkon meiner Altbauwohnung geht auf einen Hinterhof, nicht idyllisch, aber so ruhig, dass ich außer Vogelgezwitscher nichts vom Rest der Welt mitbekomme. Ich zupfe noch ein bisschen an den Balkonblumen herum, S. von nebenan ruft mir zu, na, wieder da? War’s schön auf dem Land? Ja, schon …
    Zwischen unseren beiden Balkonen haben wir eine Wäscheleine gespannt, wirkt ziemlich neapolitanisch. Kein Mensch stört sich daran. Ich trinke im Schimmer eines Windlichts noch ein Glas Wein auf dem Balkon. Wenn ich wollte, müsste ich nur drei Schritte vor die Türe – und wäre mitten im Kneipenleben.
    Schon von unten sehe ich, die Küchenkräuter auf dem Balkon brauchen Wasser. Schnell hoch in den dritten Stock und eine Runde gießen. Der Mann ist ausgegangen, der Kühlschrank leer. Hm. Ich habe es nicht so eng mit meinen Nachbarn. Wir grüßen uns, leeren während des Urlaubs gegenseitig die Briefkästen oder lassen den Schornsteinfeger in die Wohnung, mehr Kontakt brauche ich nicht. Im Notfall rufe ich bei meinen Freunden an, sie wohnen fast alle im selben Kiez. Für den kleinen Hunger zwischendurch gibt es den Spätkauf, täglich geöffnet bis um zwölf in der Nacht.
    Der Spätkauf ist der Tante-Emma-Laden der Großstädter. Meiner ist eher ein »Onkel-Erkan-Laden«, und beim Bezahlen plaudere ich kurz mit dem türkischen Verkäufer. Er kennt mich, ich kenne ihn, aber nicht auch seinen Vater und die Cousine und die restliche Familienbande. Wäre mir nach mehr als Tomaten und Schafskäse, ich müsste nur um zwei Ecken laufen. Dort warten ein vietnamesisches, ein griechisches und ein italienisches Restaurant auf mich. Und auf dem Weg dorthin komme ich an einem Zeitungsladen, einem Blumengeschäft und zwei Bäckern vorbei. Morgen könnte ich dann wieder in einem Bio-Supermarkt oder beim Discounter einkaufen. Oder in einem ganz normalen Supermarkt, alles da. Etwas weiter eine der vielen Apotheken, die ich reihum besuche. Die Apothekerin muss ja nicht wissen, welche Zipperlein mich
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