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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen
Autoren: Samuel R. Delany
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Doppelsonne ging am Horizont unter. Schweigen herrschte in der Stadt.
     

 
2.
     
    »Leg deinen Kopf zurück.« Er tat es. »Jetzt heb deine Knie und roll dich rückwärts.« Sie sah ihm dabei zu. »Schön«, lobte sie schließlich.
    Er ließ die Ringe los. »Glaubst du nicht, daß das für heute reicht?« fragte er sie grinsend.
    »Allerdings. Du darfst nicht gleich übertreiben, Jon. Das wäre nicht gut. Du mußt allmählich hineinwachsen. Aber schon jetzt machst du es großartig. Woher hast du diese Koordinierung?«
    Er trat schulterzuckend von der Matte. »Die Muskeln habe ich mir in der Strafmine geholt beim Tetronschaufeln, ansonsten …«
    »Du erstaunst mich wirklich«, gestand Alter. »Wie du dich in diese gar nicht leichten Übungen hineinkniest und welche Fortschritte du bereits gemacht hast!«
    »Es ist etwas, das ich schon immer gern können wollte. Ich war früher linkisch und unbeholfen. Das machte mich todunglücklich. Ich bin froh, daß ich jetzt etwas dagegen unternehmen kann. Komm, wir wollen schnell duschen und dann essen gehen.«
    Sie verließen die Turnhalle. Auf dem Weg zu den Duschen begegneten ihnen ein paar Jugendliche in Badeanzügen, unter ihnen ein plumpes Mädchen mit niedriger Stirn.
    »Hast du das Mädchen schon einmal schwimmen sehen?« fragte Jon. »Wenn man sie so sieht, kann man es kaum glauben, aber sie schwimmt wie ein Fisch.«
    »Ja«, erwiderte Alter. »Ich habe ihr beim 100-Meter-Brustschwimmen zugeschaut. Sie war die Beste.«
    Sie kamen an zwei Jungs vorbei, die sich unterhielten. Einer hatte ein schmales, pickelübersätes Gesicht. Auch sie blickten den Schwimmern nach. »Verdammte Ausländer«, brummte einer der beiden gehässig.
    »Die sollen sich ja nicht des Nachts im Kessel sehen lassen, sonst …«, knurrte der andere. Seine Geste des Halsumdrehens war unmißverständlich.
    Zehn Minuten später trat Jon aus dem Duschraum. Alter wartete bereits vor dem Springbrunnen auf ihn. Die Sonne strich schmeichelnd über ihr fast weißes Haar und die nackten gebräunten Schultern.
    Ein junges Paar blieb neben dem Brunnen stehen und starrte erstaunt auf das Aluminiumfundament, ehe es kopfschüttelnd weiterging. Jon hob die Brauen, als er am Brunnen angekommen war. »Was soll das?« fragte er.
    Alter drehte sich um und folgte seinem Blick. Ihre Augen weiteten sich. »Das habe ich gar nicht gesehen!«
    Jemand hatte mit weißer Farbe auf das Fundament gemalt:
     
    DU BIST GEFANGEN IN DEM KLAREN AUGENBLICK,
    DER DIR DIE AUSWEGLOSIGKEIT ZEIGTE
     
    »Was bedeutet das?« fragte Alter.
    Jon las es noch einmal. »Ich weiß es auch nicht. Aber irgendwie erweckt es ein komisches Gefühl in mir.«
    Irgendwo brummte etwas.
    Einer schaute hoch, dann hoben drei weitere den Blick, bis schließlich fast alle auf dem weiten Platz in die Höhe starrten.
    Zuerst zwei, dann drei, dann vier Silberblitze sausten oberhalb des Transitbands durch die Wolken.
    »Fliegen sie nicht viel zu niedrig?« murmelte Jon.
    »Jagdflugzeuge?« fragte Alter.
    Ein blendender Strahl schoß aus einem der Luftschiffe. Als er einschlug, flammte ein lautloser Blitz zwischen den Stadttürmen auf. Sekunden später erst folgte der Knall, und nun begannen die Menschen aufzuschreien.
    »Was zum …« Alter blinzelte ungläubig. »Das ist das Kriegsministerium!«
    »Das war das Kriegsministerium«, berichtigte Jon sie. »Was, zum Teufel, ist passiert?«
    Der gebrochene Stumpf brennenden Mauerwerks, die Überreste des Turmes, schwankten über den niedrigeren Gebäuden. Chaos brach auf dem Platz aus. »Komm, wir verschwinden!« drängte Jon.
    »Wo gehen wir hin?«
    »Wo wir etwas zu essen bekommen und uns in Ruhe unterhalten können.« Als sie eine Straßenmündung erreicht hatten, plärrte ein Lautsprecher:
    Ruhe behalten! Ruhe behalten! Durch einen Schaltkreisfehler wurden mit Explosivstoff beladene Flugzeuge aus Telphar fehlgeleitet und sprengten versehentlich das Kriegsministerium …
    Gerade während sie in ein Restaurant traten, gab der Lautsprecher die Zahl der Toten bekannt. Sie ließen sich an einem Tisch am Fenster nieder, dessen zwei verschiedenfarbige Scheiben sich in ständiger Gegenrichtung drehten.
    »Seltsam, daß es überhaupt zu einem solchen Fehler im Schaltkreis kommen konnte«, murmelte Alter nachdenklich. Jon nickte nur.
    Ein Stimmengewirr am Eingang ließ sie hochblicken. Eine Frau mit einer Fülle feuerroten Haares war soeben mit einem Mann von gut zwei Meter fünfzig eingetreten. Offenbar wollte der
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