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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen
Autoren: Samuel R. Delany
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Bandenkriege, wissen Sie? Und natürlich ist keine Polizei in der Nähe, wenn man sie braucht. Sie haben ein Mädchen umgebracht.« Sie schüttelte den Kopf.
    An der Bar hatte sich eine laute, ungehaltene Stimme erhoben. Rara drehte sich um, runzelte die Stirn. »Was ist denn jetzt schon wieder los?«
    Ein drahtiger Mann mit wettergegerbtem Gesicht sprach heftig zu einem Mann an der Bar. Eine Frau stand neben ihm und fixierte ihn mit grünen Augen. »Nein!« sagte er. Er machte eine abfällige Geste. »Nein, alles verkommen und verderbt hier!«
    »Wer bist denn du, daß du dir herausnimmst, ein solches Urteil zu fällen?« Jemand lachte.
    »Ich sage euch, wer ich bin. Ich bin Cithon, der Fischer. Und das ist meine Frau Grella, eine ausgezeichnete Weberin. Und wir sagen, daß eure ganze Insel verkommen und verderbt ist!«
    Die Frau legte ihre starken Hände auf seine Schulter. Ihre Augen flehten ihn an, still zu sein.
    »Und ich sage euch noch was. Ich lebte an der Festlandküste. Und ich hatte auch einen Sohn. Er wäre ein guter Fischer geworden wie ich es bin. Aber eure Verderbtheit lockte ihn hierher auf eure Insel. Ihr habt ihn auf dem Festland ausgehungert, habt ihn mit eurem aquariumgezüchteten Fisch verführt. Und da folgten wir ihm. Doch wo ist er jetzt? Plagt er sich in einem eurer Aquarien zu Tode? Oder treibt er sich mit einer eurer Dissi-Gangs herum? Oder vielleicht schwitzt er sich das gute Seesalz in einem eurer hydroponischen Gärten aus dem Leib? Was habt ihr mit ihm gemacht? Was habt ihr mit meinem Sohn gemacht?«
    »Verdammte Einwanderer«, brummte Rara. »Entschuldigen Sie mich bitte einen Augenblick.« Sie stand auf und ging zur Bar. Die Frau des aufgebrachten Fischers versuchte ihn von der Bar wegzuziehen. Rara half ihr dabei. Der Mann wurde ausfallend und sehr unangenehm, ehe sie ihn endlich aus der Tür hatten.
    Rara kam an den Tisch zurück. Sie wischte sich die Hände am Rock ab. »Einwanderer!« stöhnte sie erneut. »Ich will ja nichts gegen sie sagen, manche sind recht ordentliche Leute, aber mit anderen möchte ich lieber nichts zu tun haben. Und Verrückte wie dieser Kerl … Komisch, die Frau ist mir irgendwie bekannt vorgekommen, als wäre ich ihr schon einmal begegnet.« Sie lachte. »Aber diese grünäugigen Festländer sehen sich eben alle ähnlich. Oh, Sie wollen schon gehen? Es ist doch wirklich nett hier.«
    Draußen blieb Koshar vor einem Bretterzaun stehen, an dem Reste vieler Plakate klebten. Schräg darüber hatte jemand mit roter Kreide geschmiert:
     
    DU BIST GEFANGEN IN DEM KLAREN AUGENBLICK,
    DER DIR DIE AUSWEGLOSIGKEIT ZEIGTE
     
    Die Unregelmäßigkeit der Lettern (oder vielleicht waren es die Worte selbst) erweckte ein beunruhigendes Gefühl in ihm.
    Der alte Koshar schritt schweren Herzens die Straße hoch.
     
    Ein Universum entfernt blies der Wind über die Dünen.
    Was ist die Stadt?
    Ein Ort, wo die Zeit als etwas anderes als Zeit vergeht. Ein Ort, wo die mechanischen Bewegungen von Feder, Zahnrad und Getriebe zu einem langsamen, unvermeidlichen Halt kommen würden. Das gleiche wäre bei einem Uhrwerk aus Blut, Knochen, Muskeln und Nerven der Fall. Doch das psychische Blitzen von Photon gegen Photon bewegt sich mit normaler, wenn nicht beschleunigter Geschwindigkeit.
    »Aber weshalb ist dieses isolierte Reich auf der Erde so wichtig?«
    »Sind sie technologisch so hochentwickelt, daß diese Abhandlung über die Einheitsfeldtheorie uns eine Waffe gegen den Herrn der Flammen geben könnte?«
    »Wird dieses historische Werk uns den Ausgang unseres eigenen großen Krieges vorhersagen?«
    »Gibt es denn keine andere Kunst in unseren so zahlreichen Zivilisationen, die soviel Gefühl zeigt und den Platz im Leben des Universums so genau fixiert wie diese Gedichte?«
    Dutzende von Gehirnen schossen auf ihre Weise in Sinnbildern, Worten oder Gedanken Fragen ab, die ihre Verwunderung ausdrückten. Die Antwort darauf war ein dreifaches Lachen. Die Erdmenschen sind deshalb so wichtig, weil der Herr der Flammen sich gegenwärtig unter ihnen aufhält. Doch wenn diese Erdintelligenzen hier erscheinen, wird allein schon ihre Ankunft Beweis unseres Sieges über den Herrn der Flammen sein, und es ist nicht mehr nötig, ihre Werke zu studieren, außer zu unserer eigenen Erbauung und Belehrung. Erscheinen sie nicht, bedeutet es, daß wir geschlagen sind.
    Die Verwunderung und Verwirrung wuchsen zur Beunruhigung.
    Ihr werdet sehen, weshalb, versicherte ihnen die Dreifachstimme. Die
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