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Stadt der tausend Sonnen

Stadt der tausend Sonnen

Titel: Stadt der tausend Sonnen
Autoren: Samuel R. Delany
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grauenvollen Gellen. Vol sank auf den Boden. Er schüttelte den Kopf, Tränen flossen über seine Wangen, aber er war jetzt still.
    »Mr. Nonik«, bat Rara. »Stehen Sie auf.«
    Wieder ließ er sich von ihr hochziehen. Sein Schweigen beängstigte sie. Sie stützte ihn, und er schleppte sich zur Stiege. »Hören Sie, Mr. Nonik, ich weiß ja, daß es Ihnen jetzt kein Trost ist. Aber hören Sie. Sie sind jung, und Sie haben – etwas verloren.« Er vernahm ihre Worte durch einen dichten Schmerzensschleier hindurch. »Aber das haben wir alle, auf die eine oder andere Weise. Ich würde das nicht sagen, wenn das vor einem Monat nicht geschehen wäre. Sie wissen schon, der Augenblick, als wir uns alle plötzlich kannten. Ich glaube, seither haben viele Menschen viele seltsame Dinge gesagt, die sie normalerweise nie aussprechen würden. Aber wie ich sagte, Sie sind jung. So viele Menschen gibt es, die jemanden verloren haben, den sie – nun, jeder, der Sie zwei kannte, weiß, was Sie füreinander empfanden … Aber Sie werden leben.« Sie machte eine Pause. »Ich hatte eine Nichte, die ich wie eine Tochter liebte. Ihre Mutter war gestorben. Sowohl sie als auch ihre Tochter waren Arkobatinnen. Dann, vor vier Jahren, war sie plötzlich verschwunden, und ich habe sie nie wieder gesehen. Ich habe sie verloren, den Menschen, der mir am nächsten stand, den ich aufzog, seit er neun Jahre alt war. Und ich lebe.«
    »Nein …« murmelte er und schüttelte schwach den Kopf. »Nein.«
    »Ja«, sagte sie. »Sie leben. Und Sie werden auch am Leben bleiben. Zumindest, wenn wir Sie zur Humanmedizin bringen.« Plötzlich brach die Verzweiflung durch, die sie ihm nicht hatte zeigen wollen. »Warum tun sie nur so was? Warum? Wie können sie es nur tun, nach dem Augenblick, den wir alle erlebten?«
    »Aus dem gleichen Grund, aus dem sie es zuvor taten«, erwiderte er stumpf. »Genau wie Sie«, fuhr er fort, und sie runzelte die Stirn. »Sie sind gefangen in jenem klaren Moment, der Ihnen die Ausweglosigkeit zeigte. Aber mich bekommen sie nicht!«
    »Wovon sprechen Sie denn?« fragte sie. Aber seine Worte, oder wahrscheinlich eher noch der Ton seiner Stimme, ließ sie schaudern.
    »Mich werden sie nie finden! Nie!« Er torkelte vorwärts und stürzte ein Viertel der Treppe hinunter.
    »Mr. Nonik!«
    Er fing sich am Geländer und stieg weiter hinab. Rara rannte hinter ihm her, aber er hatte bereits die Tür erreicht.
    »Mr. Nonik, Sie müssen unbedingt zur Humanmedizin!«
    Er stand nackt vor der offenen Tür und schüttelte wild den Kopf. »Sie werden mich nicht finden!« flüsterte er noch einmal, dann war er auf der Straße verschwunden.
    Verwirrt zögerte sie. Als sie nach ihm Ausschau hielt, konnte sie ihn nirgendwo sehen. Die Straße war leer, so früh am Morgen. Die Sonne schien hell. Schließlich gab sie ihre Suche nach ihm auf. Sie wandte sich an den nächsten Schutzmann und berichtete ihm, was in der Pension vorgefallen war.
     
    Die Doppelsonne leuchtete auf den weißen Sand der Stadt.
    »Wann werden die Agenten von der Erde ankommen?« fragte einer.
    Sobald sie die drei Werke in Händen haben, erwiderte die Dreifachstimme. Wenn sie noch am Leben sind.
    Eine ozonreiche Brise schob das pulvrige Weiß eine Düne hinab und veränderte so die Wüste wieder um eine Spur. Das einzig Beständige war die Stadt.
     
    Im Zentrum Torons saß ein alter Mann auf seinem gefliesten Balkon. Er blickte auf die Türme des Palasts, dann hinunter zu den Schindeldächern im Hafengebiet des Höllenkessels. »Clea?« murmelte er.
    »Ja, Vater?«
    »Bist du sicher, daß du das wirklich willst? Alle Ehren, die Taron einem Wissenschaftler nur bieten kann, wurden dir für deine Arbeit an der Materietransmission und für deine theoretischen Studien verliehen. Ich glaube, ich habe es dir nie gesagt, aber ich bin sehr stolz auf dich.«
    »Danke, Vater. Es ist wirklich das, was ich ehrlich will. Weder Rolth noch ich beabsichtigen mit unserer Arbeit aufzuhören. Ich möchte meine Einheitsfeldtheorie fertigstellen, und er wird an seinem neuen Geschichtsprojekt weitermachen.«
    »Dann steh nicht herum, sondern bring ihn heraus.«
    Sie trat ins Zimmer hinter dem Balkon und kehrte einen Augenblick später Hand in Hand mit einem hochgewachsenen Mann zurück. Sie blieben vor dem Marmortisch stehen, an dem Koshar saß. »Rolth Catham, Sie möchten meine Tochter, Clea Koshar, heiraten?«
    »Ja.« Die Stimme klang fest.
    »Weshalb?«
    Catham drehte seinen Kopf ein wenig,
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