Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
gewesen und habe sich von der Grenzöffnung eine Entlastung von dem Strom der Ausreisenden erhofft.
    Auf deine Frage versicherte er: Daß die DDR in die NATO komme, würde die UdSSR niemals zulassen, da könntet ihr sicher sein. Sie würden doch ihren wichtigsten Verteidigungsposten nicht aufgeben.
    Die Versorgung der Bevölkerung in der UdSSR würde sich schnell verbessern, meinte er, die Konsumgüter- und auch die Lebensmittelproduktion seien gestiegen, der Mangel vielerorts liege hauptsächlich an der fehlenden Transportkapazität und daran, daß die Leute zuviel Geld hätten und gleich alles wegkauften. Entweder mauerte er, oder er war wirklich blind.
    Es stellte sich heraus, daß er die politischen Strömungen in eurem Land kaum kannte, daß ihm die Kräfte, die zur friedlichen Revolution geführt hatten, fremd waren, daß er euch anscheinend eingeladen hatte, um etwas darüber zu erfahren. Was hatte um Gottes willen sein Geheimdienst in all der Zeit gemacht?
    Ohne viel Hoffnung auf Erfolg redetest du auf ihn ein, daß er die Rolle seiner Botschaft in Berlin endlich wieder aktivieren solle, daß er sie als ein Bindeglied zwischen Ost und West verstehen müsse, Schriftsteller aus dem Westen, der DDR, der UdSSR einladen solle, große Veranstaltungen organisieren. Sein Land von seiner besten kulturellen Seite zeigen. Er fand das alles »sehr wichtig und interessant«. Floskeln.
    Ihr wart drei Stunden in der Botschaft. Nach eurem Aufbruch brachte der junge Dolmetscher euch noch über den Vorhof bis zum äußeren Tor. Auf den wenigen Metern, auf denen keiner der Wachhabenden ihn hören konnte, sprudelte er heraus: So ein interessantes Gespräch habe er in der Botschaft noch nie gehört. Der Botschafter, er winkte ab, ein »alter Opi«, der keine Ahnung habe. In seinem Land sei die Lage so schlimm, daß manche einen Bürgerkrieg für unausweichlich hielten, man frage sich nur noch, ob viel oder wenig Blut fließenwerde. Gorbatschow könne man vergessen. Der habe unheimlich viel für sein Land getan. Er würde ihm ein Denkmal aus Platin errichten, aber nun sei er nur noch gut dafür, als Präsident ausgleichend zu wirken. Die KPdSU sei sowieso am Ende, die einzige Rettung wäre, wenn schnell eine sozialdemokratische Partei die Dinge in die Hand nähme.
    Betäubt standet ihr Unter den Linden. Eine Begegnung der dritten Art. Du hattest den Untergang gerochen.

    Unser nächstes Ziel war der Grand Canyon. Tausende von Touristen hatten das gleiche Ziel, die Hotels in der Nähe waren überfüllt, wir warfen von einer der Aussichtsplattformen einen Blick in die bizarre Tiefe des Canyons, die mich merkwürdig kühl ließ, weil die Ungeheuerlichkeit der Natur jedes menschliche Maß überstieg, wir kamen dann, etwas entfernt vom Touristenrummel, von dem wir kein Teil sein wollten, in der Roten Feder unter, wo wir auf dem Zimmer bei den Resten unseres Whiskeys weiter über den Untergang alter Völker sprachen. Lowis meinte, dieses Verschwinden habe fast immer damit zu tun, daß ein Volk oder Stamm oder Clan sich einer technisch überlegenen Zivilisation nicht erwehren könne. Wir sollten uns doch bloß der Briefe von drei Indianerhäuptlingen erinnern, die im Museum des Hopi Cultural Center ausgestellt waren, anscheinend an eine Regierungsstelle gerichtet, in denen sie die ungeheure Not und Armut ihres Volkes beschreiben und Hilfe vom Weißen Mann einfordern (Maschinen, Saatgut, Technik). Die Weißen seien großzügig und offenherzig. Und der eine spricht dann ausführlich davon, wie verstockt, narrow-minded, wie taub und blind viele aus seinem Volk seien, da sie sich den Vorzügen in der Lebensweise des Weißen Mannes verschließen.
    Ich saß vormittags in der Roten Feder und schrieb das auf, während Sanna und Lowis den Zickzackweg zum Grund des Canyons hinunter- und vor allem wieder hochsteigen wollten, eine enorme Anstrengung, die für mich nicht in Frage kam. AmNachmittag, vom Helicopter aus, hatten wir das ganze Panorama. Ein gewaltiger Eindruck.
    Später aßen wir ein hervorragendes Steak, baked potatoes und tranken ein hausgemachtes großes Bier. Wir hatten die Menge Whiskey unterschätzt, die noch in der Flasche war und die wir aus uns selbst nicht bekannten Gründen an diesem Abend austrinken mußten. Es kam mir so vor, als würde ich die Wirklichkeit, in der ich lebte, einmal umkreisen und von hinten wieder in sie eindringen.
    Tröstlich war, ich spürte Angelina unerschütterlich an meiner Seite.
    Nachts konnte ich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher