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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel
Autoren: Christa Wolf
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würden, sollten für Nicht-Indianer »closed« sein, weil viele Weiße das Verbot, zu fotografieren und Tonbandaufnahmen zu machen, nicht beachtet hatten, und wir fanden dann überall unterwegs, bei den Zugängen zu den Mesas, Schilder: INTERMITTED FOR NON-INDIANS, und erfuhren zum ersten Mal in unserem Leben eine Zurückweisung wegen unserer Hautfarbe.
    Punkt zwei trafen wir uns mit Denis in Hotevilla, nach Hopi-Zeit um eins, sie hatten ihre eigene Zeit, erfuhren wir: Am Tag stellten sie ihre Uhren um eine Stunde zurück, um sie zur Nacht wieder vorzustellen. Den Grund dafür konnten wir nicht herausfinden, aber Lowis erklärte uns, daß es in der Hopi-Sprache keinen Verweis auf die Zeit und auch keineBeziehung zum Raum gibt, und ich verstand, daß wir in einer anderen Welt leben als sie und daß wir ihr Denken nicht begreifen können. Denis hatte sein schönstes buntes amerikanisches Hemd für uns angezogen, er schulterte Deniseya und lief los. Are we walking? rief Lowis ihm hinterher. Yes. Wir rannten ihm also etwa hundert Meter nach bis zum Rand der Mesa, er wollte uns die winzigen Felder zeigen, die tief unten am Grunde des Canyons lagen und von den Frauen bearbeitet wurden, mit primitiven Zäunen umgeben. Mir war es, als blicke ich von oben zurück in eine frühe Zeit der menschlichen Zivilisation, es hatte etwas schmerzlichrührendes, diese Felder der Frauen. Sie hatten einen mühsamen Weg hinunter- und hinaufzugehen, um zu pflanzen, zu säen und zu pflegen, und es mußte im Sommer da unten unmenschlich heiß sein. Aber ihre Familien konnten auf die magere Ernte, die sie nach Hause brachten, nicht verzichten.
    Wir stiegen alle ins Auto. Denis ließ uns nirgends halten, er wußte nicht so recht, was er uns zeigen sollte. Er führte uns zu einem Aussichtsturm, rundum die Hochebene der Mesa. Ich fühlte mich verpflichtet, auf Deniseya aufzupassen, die immer zur Straße entwischen wollte. Ihr Daddy dachte nicht daran, auf sie achtzugeben oder ihr irgend etwas zu untersagen, sie lief mit zum äußersten Rand der Mesa, wo sie steil abfällt, und stand da neben oder sogar noch vor ihrem Vater, mit den Zehen über diesem Rand, aber er hielt es nicht für nötig, sie an die Hand zu nehmen. Sie lernte es früh, auf sich selbst aufzupassen.
    Wir fuhren zurück zu dem Haus von Denis’ Schwester. Auch der alte James kam wieder und setzte sich zu uns. Aus der großen Aluminiumkanne wurde uns in Plastikbechern Kaffee ausgeschenkt, und dann wurden wir zu einer richtigen Hopi-Mahlzeit eingeladen, dem cornbread: Ein in Maisblätter appetitlich eingewickelter Maisfladen, der gefüllt ist mit Chili – hot (aber nicht zu hot) – und beef. Ein gutes Essen, Denis’ Schwester, die nicht mit am Tisch gesessen hatte, sondernihre Mahlzeit abseits in einem Sessel verzehrt hatte, packte uns noch drei cornbreads für unterwegs ein.
    Auf einmal interessierte sich der wortkarge Denis für unsere Lebensweise. Er fragte Lowis und Sanna, ob sie verheiratet seien, die beiden tauschten Blicke, dann sagte Sanna: We stay together. Worauf Denis und James verständnisinnig lachten. Ich fragte Denis, wie sie denn heirateten, er sagte: In Las Vegas!, worauf alle lachten. Dann kam heraus, daß sie ihre eigene Hochzeitszeremonie hätten, die werde von einem Ältesten ausgeführt, aber der Staat erkenne sie nicht an. Wenn die Frau eine Lebensversicherung abschließen oder beim Tod des Mannes erben wolle, müsse sie zum zweiten Mal heiraten. Ihr Leben kam uns sehr kompliziert vor: Ungenügende Vereinbarungen mit den weißen Amerikanern, die nicht eingehalten wurden. Eine kleine Insel Hopi-Land im großen Navajo-Meer.
    Jetzt war um den Küchentisch herum ein lebhaftes Gespräch in Gang gekommen. James sah die Uhr an Lowis’ Handgelenk, er zeigte, daß er die gleiche hatte, auch aus der Schweiz. Das seien sehr gute Uhren, die seine habe er einmal bei der Feldarbeit verloren und nach zwei Jahren wiedergefunden, da tickte sie immer noch. Er lachte spitzbübisch über diesen gelungenen Streich, den die Uhr ihm gespielt hatte. Denis wollte wissen, wo man eine solche Uhr bekommen könne. Ob er denn eine haben wolle, fragte Lowis. Yes. Er werde Denis die seine geben, sagte Lowis. Es stellte sich heraus, daß Denis ein Mitglied des Blue Bird Clans war. Es gebe in Hotevilla zehn Clans. Er, Denis, sei auch schon in den Kachina Peaks gewesen, jenen heiligen Bergen, von wo die Kachinas kommen, um unter den Menschen zu leben. Als wir später darüber sprachen,
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