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Stadt der Engel

Stadt der Engel

Titel: Stadt der Engel
Autoren: Christa Wolf
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lachte hinter vorgehaltener Hand, als ich ihr erzählte, daß bei den Navajo die Felder den Frauen gehörten. Ob sie auch auf den Feldern arbeite. Ja. Die Männer bauten den Mais und die Bohnen an, die Frauen Chili, Tomaten, Squash.
    Wir sahen am nächsten Tag die Ackergeräte auf dem Wagen von Denis liegen, starke Spaten, Grabscheite mit dünnem Blatt wegen des harten Bodens. Seit zwei Jahren habe die Familie einen Traktor, vorher hätten sie nur mit Pferden gearbeitet. Denis mußte drei Meilen weit fahren zu seinem Feld, das tief unten im Canyon lag. Die Hopi hätten, erfuhren wir aus einer Broschüre, eine bestimmte Methode des Trockenanbaus entwickelt, angeblich wußten die »weißen« Wissenschaftler bis heute nicht, warum die funktionierte. Ich spürte etwas wie Schadenfreude gegenüber den westlichen Wissenschaftlern, die in das innere Geheimnis dieser in ihren Augen primitiven Kultur nicht eindringen konnten, und ich merkte, daß ich den Hopi wünschte, sie könnten ihre Geheimnisse bewahren.
    Wir fuhren mit Denis zu einem kleinen Haus, in dem er wohnte. Sofort erschien ein quicklebendiges, besonders reizendes kleines Mädchen, my daughter, erklärte Denis zu unserer Überraschung: Deniseya. Sie saß sofort bei uns im Auto,machte sich mit den technischen Einzelheiten vertraut, die Fenster hoch- und runterlassen, den Schlüssel ins Schloß stecken, hupen natürlich. Als wir weiterfuhren, saß sie mit Denis auf dem Beifahrersitz, ein waches, sehr intelligentes Kind, von einer Grazie und Lockerheit in allen Bewegungen, wie europäische Kinder sie nicht haben.
    Denis fragte uns, ob wir es eilig hätten, ins Hotel zurückzukommen. Als wir verneinten, führte er uns zum Prophecy Rock, einem Felsen, der aus der Landschaft aufragte. Wir standen vor einer Höhle. Früher seien hier Zeremonien abgehalten, auch Prophezeiungen gemacht worden. Er zeigte uns ein Piktogramm an der Höhlenwand: Drei Figuren auf einer Art Wagen, zwei Figuren lassen sich auf einer Schlangenlinie zu ihnen herunter, die verschiedenen Teile der Zeichnung mußten zu verschiedenen Zeiten entstanden und immer wieder vervollständigt worden sein. Denis meinte, die Prophezeiung dieser Zeichnung werde sich erfüllen: Zwei Krieger, die miteinander kämpften. Dieser Krieg werde noch stattfinden. Zwischen wem? fragten wir. Zwischen den Hopi und den Navajo? Nein, sagte Denis und lachte. Vielleicht zwischen Amerikanern und Russen.
    Am Eingang der Höhle sah ich ein mit Grashalmen zusammengehaltenes Bündel von kurzen Halmen liegen, vorne angekohlt. Ich fragte, was das sein könne, Denis sagte: Das sei eine Opfergabe. Er zeigte auf einen Stein etwas weiter hinten in der Höhle, auf dem ebenfalls Bündel von längeren Halmen lagen. Dies sei eine alte Opferstätte. Ja, manche Leute kämen noch hierher und brächten den alten Göttern ihre sehr bescheidenen Gaben dar. Das sei der deutlichste Beweis dafür, daß der alte Hopi-Glaube noch lebendig sei, zu dem Denis ein ambivalentes Verhältnis zu haben schien. Als er mir, ziemlich teuer, einen buckligen Kachina verkaufte, eine Götterfigur, die er aus leichtem Holz geschnitzt und bemalt hatte, wollte er nicht ausschließen, daß der schon nächste Nacht, wenn er bei mir Wache hielt, meinen Schlaf beschützen werde.
    Ich aber stand lange vor den ärmlichen Opfergaben. War dies die Seele Amerikas, nach der ich auf der Suche war? Ich glaubte auf einmal zu verstehen, worauf die anonymen Mächte, die die menschliche Geschichte hervorbringen, es angelegt hatten: Daß ein paar Jahrhunderte ihnen nichts bedeuteten und daß sie uns alle einem Ziel zutrieben, welches sie uns nicht bekanntgaben.
    Nachts hielt der Kachina bei mir Wache. Aus dem Schlaf heraus sprach ich mit Angelina, die ich in der Nähe spürte. Ich sagte, wenn man sich tief genug hinabsinken lasse, verschwänden die Unterschiede zwischen den Menschen und Völkern. Ein Geist umschwebe uns alle, sagte ich, schlafend. Es sei der Geist dieser Opfergaben, der auch in ihr, Angelina, lebendig sei. Und in der Nonne Perma, die sie wohl nicht kenne. Wollen wir ihn Ehrfurcht nennen? Wir Weißen haben uns am weitesten von ihm entfernt, sagte ich. Aber mir sei jetzt klargeworden, daß mir dieser Mantel des Dr. Freud aus keinem anderen Grund beigegeben sei, als um mich dieses Geistes zu vergewissern. Angelina schwieg.
    Das Frühstück, blue cornmeal pancakes mit maple syrup, schmeckte.
    Alle Dörfer auf der First Mesa, wo die Frühlingszeremonien der Hopi stattfinden
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