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Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition)
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
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sein kleines Füchslein nennt!«
    »Wie soll er dich denn nennen?«
    »Ich weiß nicht. Rokia würde mir genügen.«
    Ihr Großvater tippte kurz an ihre Nasenspitze: »Nur ein phantasieloser Mann begnügt sich mit einem einzigen Namen.«
    »Aber ich bin kein Mann, sondern ein Mädchen. Und für mich ist ein Name mehr als genug.«
    »Wie du willst«, stimmte der alte Mann ihr zu, der die überzeugende Logik seiner Enkelin gewohnt war. »Warum kommst du schon so früh nach Hause?«
    Rokia zeichnete mit dem Finger irgendwelche Linien in den Staub. »Ich hatte wieder einen Traum, Großvater«, vertraute sie ihm an.
    »Wirklich?«, in den Augen des Geschichtensängers blitzte Interesse auf. Dann fragte er schnell, als wollte er diesen Gedanken verbergen oder vertreiben: »Und wovon hast du geträumt?«
    Rokia schaute zunächst zu dem Blätterdach aus Zweigen hoch, dann hinunter auf das verwitterte Gesicht ihres Großvaters und sagte: »Von einer Fledermaus.«
    Matuké versuchte erfolgreich, sich nichts anmerken zu lassen. Nur die Ader an seiner Schläfe pulsierte heftiger und schneller, genau wie sein Herz.
    »Erzähl mir davon.«
    »Es war Nacht. Ich glaube, der Mond schien, denn ich konnte sehr weit sehen. Ich lief über das Gras und verfolgte diese Fledermaus. Wir waren in der Nähe des Dorfes und zugleich weit entfernt, denn wohin ich auch sah, ich konnte unsere Häuser nicht entdecken …« Rokia lächelte. »Und frag mich jetzt nicht, woher ich das wusste. Es war einfach so.«
    »Und dann?«
    »Also … diese Fledermaus war natürlich keine gewöhnliche Fledermaus …« Rokia machte eine lange Pause, als wollte sie sich genau erinnern oder als suchte sie nach Worten: »Sie war weiß.«
    Matukés Schultern entspannten sich unmerklich.
    »Ich lief hinter ihr her, und sie flog diese weiten unvermittelten Bögen, wie das Fledermäuse tun, weißt du, was ich meine? Als ob sie nichts sehen könnten.«
    Der Geschichtensänger nickte. Er wusste, dass Fledermäuse durch ihren Gesang, durch Töne, die sie ausstießen, sahen, aber er beschloss, seine Enkelin nicht zu unterbrechen.
    »Manchmal glaubte ich, ich würde die Fledermaus aus den Augen verlieren, und rannte deshalb noch schneller. Ich musste mich anstrengen, fürchtete schon, ich hätte sie verloren, aber dann fand ich sie wieder. Ich erinnere mich, dass mir die Füße brannten, als wäre ich zu lange gelaufen. Das ging so weiter, bis ich einen Baobab sah. Er war so groß wie der vor unserem Dorf. Nur war dieser Baum mit weißen Blüten bedeckt.«
    »Und … was geschah dann?«
    »Die Fledermaus hat sich darauf niedergelassen und verschwand zwischen den Blüten. Und dann bin ich aufgewacht.«
    Die Lippen des Großvaters pressten sich so fest aufeinander wie bei einem Menschen, der verbotene Worte kannte, die er sich niemals entschlüpfen lassen durfte. Dann nickte er zweimal zustimmend.
    »Was bedeutet das, Großvater?«
    Er zerzauste ihr lächelnd die Haare. »Das bedeutet, dein Verstand sieht weiter als deine Augen. Du hast die Worte eines Geistes gesehen. Die Geister erschaffen den Rahmen unserer Träume, als würden sie an einem Webstuhl sitzen und ein Tuch weben.«
    »Du erzählst immer diese Sache von dem Rahmen und dem Handlungsfaden, aber dann erklärst du mir nie, was das eigentlich bedeutet.«
    Matuké lehnte sich mit dem Rücken gegen den Baum. »Jedes Ding auf dieser Welt hat einen Rahmen, der es stützt und am Leben erhält. Und ihm einen Sinn gibt.«
    »Alles hat einen Sinn? Sogar bei meinem Bruder Ogoibélou?«
    Matuké kicherte und zerzauste ihr wieder liebevoll die Haare: »Beleidige nie die eigene Familie. Und sei dankbar für das, was sie dir gibt.«
    »Mein Bruder gibt mir nur Schläge auf den Kopf.«
    »Auch diese Schläge auf den Kopf sind Teil des Plans der Nommo, der Zwillingsgeister, die uns erschaffen haben. Und alles gehört zu Amma, der wiederum sie erschaffen hat.«
    Dann beugte sich Großvater nach vorn und meinte: »Dein Traum ist ganz einfach zu deuten, Rokia. Der Baobab blüht nur eine Nacht lang, und in jener Nacht fliegen die Fledermäuse dorthin, um den Nektar aus den Blüten zu saugen. Von dieser Nacht hast du geträumt.«
    Rokia lächelte.
    »Doch deine Nacht hat etwas ganz Besonderes: Denn auf dem Baobab saß nur die eine Fledermaus, die du verfolgt hast. Eine weiße Fledermaus, so anders als die übrigen Fledermäuse. Sie hat als Einzige diesenBaobabgefunden. Und du zusammen mit ihr. Aber dafür hast du eine lange Reise
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