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Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition)
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
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Kornspeicher, die durch schwindelerregende Pfade miteinander verbunden waren. An dieser Stelle lag die Straße ein wenig erhöht, so dass man von dort einen großen Teil der Siedlung überblicken konnte: Im Schutz der Falaise standen Dutzende Rundhütten, deren Dächer wie Strohhüte aussahen. Mauern aus Lehm und Ziegelsteinen bildeten unregelmäßige Höfe und Einfriedungen. Jede Familie hatte ihren eigenen Platz, die größeren Behausungen in der Mitte gehörten den Alten und die anderen, die nach außen immer kleiner wurden, den jüngeren Familienmitgliedern. Einige Häuser waren auch quadratisch, hoch und schmal und hatten stachelige Flachdächer aus Holzpfählen, die wie seltsame Haartrachten wirkten.
    Rokia rannte, bis sie an eine Wegkreuzung kam, wo die schmale Straße zwischen zwei hohen fensterlosen Ziegelmauern hindurchführte. Dort wurde sie langsamer; nicht so sehr, weil sie wegen der Enge befürchten musste, mit jemandem zusammenzustoßen, sondern vor allem, weil hinter der Ecke meist ein Ziegenbock lauerte. Rokia hatte schon öfter vor dem Tier davonlaufen müssen, das sie dann meckernd und wütend verfolgte.
    Deshalb machte sie jetzt einen vorsichtigen Schritt, und noch einen, presste sich an die Hausmauer und warf einen Blick um die Ecke. Sie hatte recht gehabt, so vorsichtig zu sein. Da war er … genau, wie sie gedacht hatte! Ein kahler, grauschwarz gefleckter, alter Ziegenbock, den nur noch seine Hörner aufrecht hielten, lag dort in der prallen Sonne vor einer Tür. Ab und zu riss er seine großen gelben Augen auf und warf einen misstrauischen Blick auf die Straße.
    »Ganz ruhig«, sagte sich Rokia. Dann kniete sie sich auf den Boden und betete, dass ihre Gelenke nicht knacken und ihre Armreifen und der Tellit- Ring nicht zu laut klimpern würden.
    Mit äußerster Vorsicht nahm sie einen Kieselstein und stand auf. Sie warf ihn auf die Straße, wobei sie versuchte, so weit wie möglich von dem Ziegenbock weg zu zielen. Dann schaute sie wieder hin.
    Perfekt, es funktionierte.
    Als der Ziegenbock den Stein aufschlagen hörte, zuckte das misstrauische Tier zusammen, erhob sich ein wenig schwankend auf seine Beine und trottete langsam in diese Richtung, um nachzusehen.
    Rokia wartete, bis er sich weit genug entfernt hatte, dann rannte sie schnell über die Kreuzung. Wunderbar, ihr war kein wütender Ziegenbock auf den Fersen.
    Nun war sie beinahe am Ziel. Die Straße fiel jetzt ab, wurde in der Mitte von einer keilförmigen, ockergelben Mauer durchteilt. Rokia ging nach rechts, lief an zweibögigen, aus den Lehmmauern herausgearbeiteten Fenstern vorbei, bis sie direkt vor ihrem Zuhause stand. Den Eingang zum Hof markierte eine rote Stufe.
    Vor dem Haus saß ihr Großvater Matuké, der Griot des Dorfes, unter dem üppigen Blätterdach seines geliebten Fromager -Baums.
    Matuké, der Geschichtensänger.

DER GESCHICHTENSÄNGER
    Der alte Griot saß mit überkreuzten Beinen im Schatten des Baumes, und sein gerader Rücken lehnte sich so dicht daran, dass er dessen Rinde berührte. Genau wie der Baum, unter dem Matuké seinen Tag verbrachte, hatte die Haut des Geschichtensängers viele Sommer erlebt, und das hatte sie gezeichnet. Sie war tiefschwarz, wie vom Blitz verbranntes Holz, und ebenso hart. An seiner linken Schläfe verlief eine dicke hervortretende Ader. Eine spitz zulaufende, gelbgestreifte Kopfbedeckung, deren unterer Stoffrand weich bis auf seine Schultern fiel, bedeckte seine schütteren, weißen Haare.
    Matuké trug ein langes gelbes Gewand mit einem halbmondförmigen Ausschnitt und lange schwarze Hosen, die er bis zu den Knien hochgekrempelt hatte. Dazu Sandalen aus Wildschweinleder. Zwischen den Beinen hielt er eine Kora , sein Lieblingsinstrument, die aus einem mit Antilopenfell überzogenen Kürbis und einem langen Hals aus Holz bestand, an dem einundzwanzig Saiten befestigt waren. Matuké spielte sie mit den Daumen und Zeigefingern seiner beiden Hände, die an den Saiten hinauf- oder hinunterglitten und so höhere oder tiefere Töne erzeugten. Und dazu sang er mit seiner tiefen Stimme leise vor sich hin, ließ sie mal schneidend, mal komisch oder ernst klingen, wie es gerade passte. Sein Kinnbart, der genauso geschwungen war wie die über den Steg gespannten Saiten, bewegte sich lustig im Takt zu seinen Worten.
    Wenn Matuké singen wollte, konnte man ihn von weither hören. Dann versuchten die Einwohner des Dorfes herauszufinden, wie er gelaunt war. Wenn sie seine, wie sie es nannten,
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