Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition)
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
Vom Netzwerk:
aus, obwohl sie wusste, dass der Hogon, der Priester des Dorfes, bestimmt nicht ihrer Meinung sein würde. Er sagte, Ameisen seien Erdgeister, Boten der Götter, Wesen, denen man Respekt entgegenbringen müsse. Oder so ähnlich, denn natürlich hatte der Hogon nie mit ihr persönlich darüber gesprochen. Geister waren Männersache.
    »Ach, ihr habt euch verirrt! Und jetzt braucht ihr Ammas Hilfe …«, flüsterte Rokia und nannte den Namen des Gottes, der alles erschaffen hat. Sie streckte den Arm aus, so langsam, dass sie die Tiere nicht erschreckte, und nahm den Zweig weg. »Jetzt ist alles wieder, wie es sein soll!«
    Sie schleuderte den Zweig weit von sich und legte sich wieder zwischen die Wurzeln auf den Boden. Dann drehte sie den Kopf zur Seite und legte die Wange auf die warme Erde. Sie schloss ein Auge, und als sie mit dem anderen hinsah, wirkten die Wurzeln wie Gebirge in einer märchenhaften Landschaft, in der die Ameisen jetzt wieder losmarschierten wie ein großes Heer winziger Soldaten. Hinter den Wurzeln des Baobabssah sie eine sonnenverbrannte Ebene, aus der die Hitze flirrend wie ein flatterndes Tuch aufstieg. Die Strohdächer des Dorfes und die Palisade, die es umgab, schienen in weite Ferne gerückt.
    Während Rokia dort lag, bemerkte sie, dass sich am Rand des Dorfes etwas bewegte. Sofort hob sie den Kopf und schaute genauer hin. Einige Jungen waren aus dem Tor in der Palisade hervorgesprungen und rannten an der Umzäunung aus hohen Baumstämmen entlang. Drei ihrer Brüder waren dabei, wie Rokia erkannte. Einer von den älteren und die beiden jüngsten.
    Sie fragte sich neugierig, was sie wohl dort machten.
    Auf einen Schlag waren der Baobab, die Ameisen und ihre Mission vergessen. Rokia lief auf ihre Brüder zu, die sich etwa zweihundert Schritte vor dem Tor in der Palisade zwischen die Büsche duckten. Sie taten sehr geheimnisvoll. Natürlich war auch dieser Dummkopf Aotyé dabei, der ihnen immer wie ein Schatten folgte.
    »Gesundheit euren Körpern!«, grüßte Rokia und hockte sich hinter ihren älteren Bruder. »Was geht hier vor?«
    »Psst!«, machte Serou nur, ohne sich umzudrehen. Sein nackter Rücken war schweißnass. Er hielt einen Sack und eine Schnur in der Hand.
    Rokia kroch weiter, bis sie zu ihrem jüngeren Bruder Inogo kam, und fragte ihn: »Kannst du mir sagen, was …«
    » Pssst!«, machte auch der und legte ihr beide Hände auf den Mund. Er wirkte hochkonzentriert. »Siehst du nicht, dass wir sie gleich fangen werden?«
    »Was wollt ihr fangen?«
    »Sie soll still sein«, fauchte Serou. »Sonst ist alles umsonst.«
    Rokia ließ sich schwer auf den Boden fallen und verschränkte gekränkt die Arme vor der Brust. Die beiden Armreifen aus Kupfer, ein Geschenk ihres Großvaters, klirrten an ihrer linken Hand. Auch der Wüstenstein im schwarzen Metallkegel ihres Tellit -Rings klapperte leise.
    Eléou, ihr jüngster Bruder, schlich sich zu ihr und verriet ihr, was sie vorhatten. Er wies auf das Dach eines Getreidespeichers, der sich innerhalb der Palisade erhob. Der älteste Bruder, Ogoibélou, wollte auf diesen Speicher klettern und Lärm machen, um die Mäuse zu erschrecken, die sich dort drinnen versteckten.
    »Siehst du die kleinen Löcher da im Holz?«, zeigte ihr der achtjährige Bruder. »Dort sollen die Mäuse dann rauskommen.«
    »Woher wollt ihr das wissen?«, flüsterte Rokia zweifelnd.
    »Ogoibélou hat es gesagt.«
    Rokia biss sich auf die Lippen, um sich ein leises Lachen zu verkneifen. Natürlich. Ogoibélou musste nur etwas sagen, damit ihre Geschwister wie auch Aotyé es widerspruchslos glaubten. Hätte Ogoibélou behauptet, der Fluss würde die Felsen hinauffließen, würden sie alle anfangen, gegen die Strömung zu fischen.
    Trotzdem kauerte sie sich nun ohne ein weiteres Wort hinter sie, knotete die vier Stoffstreifen, aus denen ihr Gewand bestand, oberhalb der Knie zusammen und hielt sich an das Schweigen, das die Jagd ihnen auferlegte. Eine Stille, die allerdings das Zirpen der Grillen erfüllte, das Surren der Fliegen, während sie ihren genauen Bahnen folgten, und das unruhige Zwitschern der Vögel auf den Zweigen der Mango- und Fromager -Bäume.
    Wie Eléou es vorausgesagt hatte, hörte man jetzt aus dem Speicher ein trockenes Geräusch, als würde jemand zwei Holzstücke aneinanderschlagen, dann noch mal und noch einmal und zum Schluss einen lauten Knall.
    Ogoibélou schrie aufgeregt: »Sie kommen! Sie kommen!«
    Die Jäger legten sich zu beiden Seiten der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher