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Stadt aus Sand (German Edition)

Stadt aus Sand (German Edition)

Titel: Stadt aus Sand (German Edition)
Autoren: Pierdomenico Baccalario , Enzo d'Alò , Gaston Kaboré
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riefen sie und dann noch einmal fragend: »Papa?«
    Große, sternklare Tränen rollten aus ihren Augen. Ihre kleinen Herzen klopften so dröhnend laut durch die Nacht wie Schmiedehämmer. Die beiden Kinder waren nicht auseinanderzuhalten, ihre Gesichter glichen einander wie ein Ei dem anderen.
    »Papa, lebst du?«, fragten sie und berührten vorsichtig den reglosen Körper des Geschichtensängers, der so leicht und zerbrechlich wirkte.
    Doch er war noch nicht tot. Ganz langsam, mit unendlicher Anstrengung hob sich eine Hand aus dem Staub, deren Daumen und Zeigefinger gegeneinander rieben. Dann hörten die beiden Jungen die Stimme ihres Vaters, obwohl sich seine Lippen nicht bewegten.
    »Matuké?«, flüsterte er von fern. »Setuké? Geht es euch gut, meine Kleinen?«
    »Was hat der Mann dir angetan?«, fragten ihn die Kinder.
    »Er hat mir nichts getan …«
    »Deine Kette«, bemerkte Setuké, »sie ist zerstört.«
    »Wir haben dies hier aufgehoben …«, fügte Matuké hinzu und zeigte ihm zwei Stücke Bernstein, die neben sie ins Gras gerollt waren. In das erste war die Schnauze eines Schakals eingeritzt, in das zweite das Profil eines Falken.
    »Jetzt ist es an euch, das Dorf zu beschützen«, flüsterte ihres Vaters Stimme, die von sehr weit her zu kommen schien. »Los, lauft schon. Lauft nach Hause und erzählt, was geschehen ist.«
    Er schnalzte noch einmal matt mit den Fingern.
    Danach sank seine Hand kraftlos zu Boden.

DAS DORF
    Rote Ameisen zogen in einer langsamen Prozession vorwärts. Sie bildeten eine lange Linie im Gras, die sich über den gesamten Vorplatz aus festgestampfter Erde fortsetzte.
    Zwischen den Wurzeln des Baobabs, des großen Affenbrotbaums, der nahe bei einem der Tore zum Dorf stand, lag Rokiaauf dem Bauch und beobachtete die Ameisen fasziniert. Dabei bemühte sie sich, möglichst nicht aufzufallen, denn sie war überzeugt, die Tiere würden ihre Pläne ändern, wenn sie sie bemerkten.
    Rokia fragte sich immer noch, wohin sie eigentlich wollten. Sie liefen in Reih und Glied einer etwas größeren Ameise hinterher, die zu wissen schien, wo es lang ging. Und woher kamen sie überhaupt? Noch so ein Rätsel: Rokia war ihnen den Weg zurück gefolgt bis zu den ersten Büschen der Brousse, dem Gestrüpp rund ums Dorf. Dann war das von der Sonne versengte Gras dichter geworden, deshalb hatte sie sich hingekniet und sie nun auch dort beobachtet, wie sie alle hintereinander in einer Reihe liefen, Hindernisse wie abgebrochene Zweige und größere Steine umgingen, damit sie ihre Mission fortsetzen konnten.
    Als sie die Wurzeln des Baobabs erreichten, blieb die Ameise, die den Zug anführte, stehen, als müsste sie nachdenken. Rokia duckte sich, zählte bis vier, dann noch einmal bis vier und sah dann wieder hin. Vier war nämlich die magische Zahl der Frauen.
    Dahin wollten sie also, zum großen Baobab. Die Sonnenstrahlen, die durch seine Zweige drangen, wirkten wie Lichtsäulen. Und dort hatten die Vögel einige aufgehackte Schalen von den Früchten des Baumes hängen lassen. Rokia lächelte. Die Ameisen waren also auf der Jagd nach Früchten. Und irgendwie wusste die Leitameise eben, dass sie dort oben etwas finden würden.
    »Und was passiert, wenn das alles nicht so glattgeht?«, fragte sich das Mädchen. Sie überzeugte sich, dass sie aus dem Dorf nicht gesehen werden konnte, bevor sie einen knotigen Ast aufhob und ihn schnell so hinlegte, dass sie damit boshafterweise den Zug der Ameisen unterbrach.
    Zunächst waren die Tiere, die hinter dem Zweig zurückgeblieben waren, verwirrt. Die mutigsten unter ihnen kletterten darüber oder versuchten, an ihm entlangzulaufen, um so daran vorbeizukommen, während die anderen sich verstört vor dem Hindernis zusammendrängten.
    »Schnell!«, ermutigte das Mädchen sie. »Seht ihr nicht, das die anderen weitergehen? Los! Bewegt euch! Ihr müsst über den Ast klettern!«
    Bestürzt fuhr sich Rokia mit beiden Händen durch ihre pechschwarzen Haare und zog ihre großen Ohren nach unten.
    »Was habe ich da bloß angestellt?«, fragte sie sich zweifelnd. Vielleicht hatte sie ja eine ganz wichtige Handlung unterbrochen.
    Trotzdem brachte die Verwirrung der Ameisen sie zum Lachen, denn sie musste an die alten Leute aus ihrem Dorf denken: Jedes Mal, wenn es dort ein Problem gab, kamen sie zusammen, um darüber zu reden und es von allen möglichen Seiten zu betrachten, während der Rest der Welt … einfach weiterlief!
    »Ihr dummen, kleinen Tiere!«, rief Rokia
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