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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland
Autoren: Beate Sommer
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bestätigt, nachdem sie selbst sich das aufgrund des in einem Zeitungsbericht genannten Dr. L. schon zusammengereimt hatte. Das hatte sie fast am meisten erschüttert. Der Gedanke, dass die Kinder und sie einen Mann konsultiert hatten, der zu solchen Gräueltaten fähig war, dem sie bedingungslos vertraut hatte, rief noch immer ein Schaudern hervor.
    Sie hatte einen unheilvollen Hang zu Psychopathen, oder umgekehrt, dachte sie und hoffte inständig, dass der bevorstehende Umzug Abhilfe leisten würde. Ein ziemlich unrealistischer Wunsch, mutmaßte sie, es war kaum anzunehmen, dass es in Ostfriesland lediglich läppische Verkehrsdelikte oder Nachbarschaftsstreitereien zu bearbeiten gäbe. Menschliche Abgründe waren hier sicherlich nicht weniger tief und bedrohlich als anderswo. Dennoch gelobte sie, wieder einmal, vorsichtiger zu werden.
    »Was ist denn mit dem Typ, der das coole Auto fährt. Du weißt schon, den Marie echt geil findet. Nimm doch den. Ich meine, das wär doch besser, Marie ist ja auch viel zu jung für ihn, nicht?«
    »Das ist sie«, bestätigte Marilene lachend, »aber wenn es dir nicht allzu viel ausmacht, würde ich mir meinen Freund doch lieber selbst aussuchen. Ist irgendwie praktischer, meinst du nicht?«
    »Na gut, aber ein Wörtchen mitzureden habe ich schon, ja? Ich muss den schließlich auch mögen.«
    »Geht klar«, versprach sie und bog in die Einfahrt zum Parkhaus, um sich nicht vor der Kanzlei wortreich von allen verabschieden, womöglich noch winken zu müssen. »Und wenn du dir Sorgen um Marie machst, dann halte doch einfach nach einem Freund für sie Ausschau«, schlug sie vor, das würde seinen Kuppeltrieb in für sie unverfänglichere Bahnen lenken. Sie stellte den Wagen ab und scheuchte alle hinaus.
    »Total sinnlos«, sagte er allen Ernstes. »Die hat einen bekloppten Geschmack, den treffe ich nie. Aber ich kann mich ja mal umsehen, wenn du meinst.« Er hörte sich an, als müsse er sein Zimmer aufräumen. »Vielleicht jetzt gleich?«, fügte er hinzu, und seine Miene hellte sich auf.
    Sie konnte förmlich hören, wie er Umzugspläne schmiedete. Wenn es nach ihm ginge, stünde der reinste Exodus bevor.
    »Machen wir«, versprach ihr Vater glucksend und schob ihn vor sich her. »Bis später.« Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
    Marilene wandte sich ab, damit er die Tränen, die ihr unvermittelt in den Augen standen, nicht sähe, und machte sich auf den kurzen Fußweg in die Bergmannstraße.
    Sie war heftiger durch den Wind, als sie sich eingestehen mochte oder irgendjemandem gegenüber geäußert hatte. Immer wieder schossen ihr Bilder ihres eigenen Todes durch den Kopf, Bilder, die sich vermischten mit jenen vom letzten Sommer, als jemand versucht hatte, sie zu erdrosseln. Sie fielen noch immer stakkatoartig über sie her und überblendeten einander, die Villa und die Jagdhütte, der prachtvolle Park und die sich bedrohlich gegeneinander neigenden Bäume im Wald, der im Sonnenlicht funkelnde Kiesweg mit dem zerklüfteten, eisgrauen Pfad. Und der Angreifer, den sie nie gesehen, mit dem Mann, den sie für Inkas Bruder gehalten hatte. Der ihr eine Schlinge um den Hals gelegt hatte, um sie aufzuhängen. Der neben ihr gestorben war. Mehr wusste sie nicht.
    Aber wenn sie sich nicht eigentlich erinnern konnte, woher kamen dann diese Bilder? Wenn schon Blackout, dann doch bitte richtig, nicht dieser Tumult von Realität und Phantasie, von veritabler Erinnerung und dem, was ihr Hirn ihr vorgaukelte, was unmöglich mehr als ein Trugbild sein konnte und sie dennoch zitternd zurückließ. Nicht jetzt!, bedrängte sie die wachsende Panik. Die Zeit für Gespenster war unwiderruflich abgelaufen.
    Sie erreichte die Kanzlei und blieb stehen, atmete tief ein und aus, und noch einmal, bis ihr Herzschlag sich beruhigte, sie die noch zaudernde Kraft der Sonne wieder wahrnahm und den Hauch von Frühling roch, leicht und klar und wie zum allerersten Mal, das Versprechen besserer Tage.
    »Moin, da sind Sie ja.« Spieker stand in der Tür. »Sie werden schon sehnsüchtig erwartet.«
    »Bin ich zu spät?«
    »Aber kein Gedanke«, entgegnete er, reichte ihr die Hand und zog sie hinter sich her in sein Büro.
    Ein blonder Haarschopf ragte über einen der zum Fenster gerichteten Ledersessel hinaus. Jetzt erhob sich der Mann und wandte sich ihr zu.
    »Boah«, entfuhr es ihr, »was machst du denn hier?«
    »Die Geschichte mit dem Berg und dem Propheten?«, schlug Lothar Männle vor. »Schließlich hast
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