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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland
Autoren: Beate Sommer
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dunkel, doch je länger sie in die Finsternis starrte, desto mehr Grau schlich sich hinein, und auf einmal tauchten Umrisse auf von Dingen, die sie kannte, der Schrank gegenüber, der Stuhl davor, sie drehte den Kopf ein wenig, das Fenster, in dem diese unsägliche Plastikpflanze auf immer kümmerte, ihr Fenster. Sie lag in ihrem Bett. Sie hatte keine Ahnung, wie sie dorthingekommen war.
    Sie drehte den Kopf ein wenig weiter. Neben ihr lag ein Berg Klamotten. Wie seltsam. Sie war kein Ausbund an Ordnungsliebe, so schlampig war sie allerdings auch nicht. Sie erwog, aufzustehen und das Zeug wegzuräumen, doch das erschien ausufernd mühsam und hatte sicherlich Zeit bis morgen.
    Morgen? Sie drehte sich auf die Seite und schaute auf den Radiowecker. Vier Uhr. Noch drei Stunden schlafen. Ein lange praktiziertes Ritual, das Hochrechnen der Restschlafzeit, um beruhigt wieder wegzudämmern. Meistens. Manchmal jedoch war es angebracht, wach zu bleiben, wachsam, dass nicht ein Traum sich fortsetzte, den man lieber nicht schauen wollte. Sie war krank gewesen, erinnerte sie sich auf einmal. Und dann … was dann? Vielleicht wäre es ausnahmsweise besser, wieder einzuschlafen, womöglich war die Realität ungleich bedrohlicher als jeder Traum?
    Komm schon, sprach sie sich Mut zu, du liegst in deinem Bett, in deiner Wohnung, was kann dir schon passieren? Krank bist du jedenfalls nicht, kein Schnupfen mehr, kein Husten. Heiß, das schon. Vielleicht hast du Fieber?
    Erst jetzt gewahrte sie, dass sie mehr als einen Schlafanzug am Leib trug. Entschieden mehr. Sie tastete sich ab, Pullover, Jeans. Sie ging nicht angezogen ins Bett. Niemals. Ihre Finger trafen auf wabbeliges Gummi, Wärmflaschen, erkannte sie am leisen Glucksen, allerdings ausgekühlt. Sie zerbrach sich den Kopf, wie und warum das alles zustande gekommen war, und ihre Muskeln verkrampften, nichts, der totale Blackout. Hatte sie getrunken? Unwahrscheinlich, seit Niklas bei ihr lebte, war sie schwer solide geworden. Okay, sie hatte leichte Kopfschmerzen, trotzdem fühlte sich das undefinierbar anders an als ein Kater. Immerhin funktionierte ihr Denkvermögen, und sie überredete sich, nach und nach wieder lockerzulassen, alles war gut, sagte sie sich, mit mäßiger Überzeugungskraft, alles. Der Satz klang wie ein Echo. Sie schlug die Decke zurück.
    »Du bist wach«, konstatierte der Kleiderberg.
    Sie schnellte in die Senkrechte. »Mein Gott, hast du mich erschreckt«, fuhr sie Hartmann an.
    »Entschuldige.«
    »Was machst du überhaupt hier?«
    »Du kannst dich nicht erinnern?«
    »Würde ich dann fragen?« Sie schlang die Arme um die Knie und blieb, in Erwartung einer längeren Geschichte, sitzen.
    Hartmann stütze sich auf einen Arm. »Du bist entführt worden.«
    »Du meine Güte, echt?« Sie begann aufs Neue, in ihrem leer gefegten Hirn zu kramen, förderte jedoch nichts Greifbares zutage, nur eine vage Erinnerung an Unbehagen. Misstrauen? »Von wem?«, fragte sie.
    »Petersen.«
    »Petersen«, wiederholte sie, »kenn ich nicht. Nicht persönlich. Also, da ist ein Bild, das ich Katharina gezeigt habe, und sie hat gesagt, dass das Petersen sei.«
    »Wie hat er dich überwältigt?«
    »Das sagt mir nichts«, erklärte sie. Sie schmeckte plötzlich Zitrone, nur, wie konnte das sein? »Warte«, sagte sie, im Hinterkopf blitzte ein Bild auf von einem Glas mit heißer Zitrone, aber nicht sie hatte das Getränk zubereitet, sicher nicht, das war – »Ich hab’s«, rief sie, »ich war in Idstein, um mich mit Inkas Bruder zu treffen. Ich mochte ihn nicht, aber …« Sie verstummte.
    »Aber was?«
    »Ich weiß nicht. Danach ist nichts mehr. Wann war das? War ich lange weg? Was hat er mit mir gemacht?« Sie hörte selbst, dass Panik in ihrer Stimme schwang.
    Hartmann zögerte. »Er wird dir K.-o.-Tropfen verabreicht haben, gestern Nachmittag, und dann hat er dich in Gentners Jagdhütte gebracht. Er wollte dich umbringen.«
    Der Satz traf sie wie ein Schlag. Sie holte stockend Luft, nicht genug, einfach nicht genug, sie konnte nicht sprechen. Der Vorstellung vom eigenen Tod war mit Worten ohnehin nicht beizukommen. Oder doch? Vielleicht war es an der Zeit, es einmal zu versuchen?
    »Warum?«, presste sie hervor.
    »Na, weil er eben nicht Inkas Bruder war, sondern Petersen, und du hättest ihn identifizieren können.«
    »Muss ich noch oder hat er gestanden?«
    »Dazu kam es nicht mehr. Er ist tot.«
    »Selbstmord«, konstatierte sie, wenn einer keinen Ausweg sah, erschien
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