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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland
Autoren: Beate Sommer
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ihr das die logische Konsequenz. Bitte, geht doch, ermutigte sie ihren Verstand, sich zu distanzieren und vor allem sachlich zu bleiben.
    »Nein«, sagte Hartmann.
    »Oh. Schlimm für dich?«
    »Geht schon«, behauptete er.
    »Aber ihr habt Franziska gefunden.«
    »Nein, noch nicht.«
    »Oh. Dann ist es wirklich schlimm.«
    »Ich hatte keine Wahl«, erklärte Hartmann. »Er war im Begriff, dich aufzuhängen, und er hatte eine Waffe. Wäre ich zur Tür reingegangen, hätte er mich gehört, und eine Geiselsituation wollte ich nicht riskieren. Da war keine Zeit, anständig zu zielen, ich bin ja schon froh, dass ich dich nicht getroffen habe.«
    Auf einmal stürmten Bilder auf sie ein, verwischt und surreal, die Jagdhütte, der finstere Wald, tanzende Schlingen. Nur sich selbst konnte sie nicht darin sehen, irgendwie bekam sie es nicht hin. Stattdessen überlagerte die Erinnerung an jenen Keller, aus dem Hartmann sie einmal befreit hatte, das Grauen aus zweiter Hand. Mein Gott, dachte sie, kein Wunder, dass ihr Hirn sich weigerte, eine weitere lebensbedrohliche Situation zu erfassen. Der Speicher war voll.
    »Ich auch.« Sie tastete nach ihm, erwischte sein Knie und drückte es. »Danke«, sagte sie, »ich glaube, ich bin ganz froh, dass ich diesen Blackout habe.« Sie konnte gar nicht sagen, wie froh, hoffte nur, dass nicht irgendwann, wenn sie sich längst darüber hinweg wähnte, die Erinnerung zurückkäme, sie hinterrücks niederschmetterte.
    »Schon merkwürdig, dass du mich schon wieder aus so einer Situation retten musstest, nicht?«
    »Schicksal?«, schlug er vor. »Vielleicht ist es mir vorherbestimmt, Zeitschleife oder so was. Trotzdem wünschte ich, du würdest es lassen.« Er strich ihr sachte über den Rücken.
    Zumindest werde ich ihn aus der Verantwortung entlassen, dachte sie, doch dies war vielleicht nicht der richtige Zeitpunkt, um ihn von ihren Plänen zu unterrichten. »Glaub mir, ich auch«, sagte sie nur.
    Seine Hand wanderte höher, umfasste ihren Nacken, und plötzlich war ein Knistern in der Luft, das sie beinahe zurückzucken ließ, doch sein Griff rief den altbekannten Schauder hervor, und sie verharrte. Sie hatte vermisst, was sie nicht vermissen wollte, und die Sehnsucht nach Nähe, einerlei wie flüchtig, hatte all die Zeit ungeahnt dicht unter der Haut gelauert, um nun ungestüm über sie herzufallen. Aber das ist nicht fair, sagte ihre Vernunft, du wirst gehen, es wird nie eine Beziehung zwischen euch geben. Will ich ja auch gar nicht, hielt sie dagegen, warum sollte ich nicht tun, was keinem Mann je zum Vorwurf gemacht wird? Du bist aber nun mal kein Mann, also benimm dich gefälligst auch nicht so, mach ihm keine falsche Hoffnung, das hat er nicht verdient.
    »Komm«, murmelte Hartmann.
    Sie wendet sich ihm zu, eine billige Rache, die den Falschen trifft, mahnt die Vernunft, und dies lässt sie noch einmal innehalten. »Ich muss dir was sagen«, kaum mehr, als ein Flüstern.
    »Nicht jetzt.«
    Er verschließt ihre Lippen mit einem Kuss, und sie ergibt sich, hat im Grunde längst verloren, schon beim ersten Beben, Verräter, schimpft sie ihren Körper ein letztes Mal, bevor sie zulässt, dass sie davongetragen wird, ihre Glieder sich verheddern im Bestreben, einander die Kleider vom Leib zu zerren, leises Kichern, das hat sie nicht erwartet, dass sie mit ihm lachen kann, bevor ihre Münder sich wiederfinden, Haut auf Haut trifft mit brennender Ungeduld, die sie von den Füßen fegte, stünde sie aufrecht. Kurz blitzt ein Bild von einer Schlinge auf, doch sie weist es weit von sich, sie lebt, oh ja, sie lebt, wie das feiern, wenn nicht so, es fühlt sich gut an und richtig, für den Moment, den einen einzigartigen Moment, in dem alle Sinne sich sammeln, hellwach und sturmbereit, bevor sie alles Denken überrennen, bis nur noch Feuer ist und pure Lust. Genau jetzt.
     

14
    Paul Zinkel starrte trübsinnig aus dem Fenster. Ein feiner Nieselregen zog einen schmutzig grauen Schleier vor die Scheibe, und obwohl der Schnee inzwischen weggetaut war, herrschte hierzulande eher trübes Novemberwetter, während ausgerechnet in Ostfriesland bereits der Frühling gesichtet worden war. Passend zur Stimmung im Büro. Sie redeten nicht mehr, jedenfalls nicht über anderes als die Arbeit, und selbst da klammerten sie alles aus, was sie bewegte.
    Einzig Patrizia schien sich nicht an der rein sachlichen Atmosphäre zu stören. Wo sie früher für eine andere Kommunikationsebene gesorgt hätte, war sie nun
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