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Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme

Titel: Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
Autoren: Anna Tarneke
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– welche diese eindeutig dringender benötigen. Leichenschau, Totenscheinausstellung, Angehörige informieren – das sind keine Dinge, die man in fünf Minuten abwickelt. Deshalb gehören Tote nicht in die Notaufnahme, sondern in ein Beerdigungsinstitut oder in die Pathologie.
    Das wissen die Notärzte im Rettungswagen natürlich auch, aber für sie bedeutet das Prozedere eben genauso viel Arbeit. Deshalb wurde nicht nur einmal versucht, uns einen Toten als lebendig zu verkaufen.
    Ein Kollege war einst sogar so dreist, mir eine komplette Reanimation vorzuspielen. Hingebungsvoll tat er so, als würde er die Leiche reanimieren – in der Hoffnung, wir würden sie dann doch noch aufnehmen.
    Â»Was machst du da?«, fragte ich ihn.
    Â»Na, wonach sieht das wohl aus?«, ächzte er schauspielernd. »Ich versuche, den Mann am Leben zu halten!«
    Ich sah den Kollegen nur missbilligend an und zeigte auf die zahlreichen Leichenflecken, die bereits überall am Toten zu sehen waren.
    Â»Und was ist das?«, fragte ich ihn. »Tut mir leid, aber den musst du wieder mitnehmen.«
    Der Kollege seufzte ertappt und nahm die Leiche schweren Herzens wieder mit.
    Ein paar Wochen später stand besagter Kollege wieder vor der Notaufnahme. Auf seiner Trage lag ein alter Mann, der alles andere als lebendig aussah.
    Hellhörig von dem vorangegangenen Ereignis legte ich die von der Trage baumelnde Hand des Mannes auf seinen Bauch zurück.
    Vorwurfsvoll sah ich meinen Kollegen an.
    Â»Mann, der ist ja schon kalt!«
    Â»Anna, sorry, aber diesmal musst du ’ne Ausnahme machen!«
    Ich schüttelte energisch den Kopf.
    Â»Du weißt doch, was hier los ist. Überfüllt und unterbesetzt, sage ich nur. Wir können uns nicht um einen Toten kümmern!«
    Â»Es ist wirklich eine Ausnahme«, bettelte der Kollege. »Er ist aus’em Puff.«
    Â»Und?«
    Nur weil einer im Bordell stirbt, muss ich ihn noch lange nicht tot in meine Notaufnahme lassen.
    Â»Wir haben ihn direkt aus einem der Zimmer geholt. Er hat dem Mädel wohl vorher sein halbes Leben erzählt. Na ja, jedenfalls ist er seit über fünfzig Jahren verheiratet, und seine Frau ist schwer krebskrank. Er pflegt sie seit Jahren und wollte einfach mal raus. Einerseits hatte er wohl ein gewaltig schlechtes Gewissen deshalb, andererseits wollte er aber auch noch mal das Leben spüren. Tja. War ein kurzes Vergnügen«, sagte er mitleidig. »Aber verstehste, wenn ich der krebskranken, uralten Ehefrau nun sage, dass ihr Mann zwischen den Schenkeln einer tätowierten Asiatin gestorben ist – nee, ehrlich Anna, das geht nicht. Können wir ihr nicht sagen, er ist auf der Straße zusammengebrochen und im Krankenhaus gestorben? Bitte!«
    Ich musste nicht lange überlegen.
    Wir kontrollierten den Gang, damit uns auf den ersten Metern nicht gleich ein Arzt über den Weg lief, der unseren Toten direkt wieder des Hauses verweisen würde.
    Dann schoben wir den alten Mann in einen Behandlungsraum und bereiteten unsere kleine Lüge vor.
    Später sah ich eine weißhaarige alte Dame an seiner Liege stehen. Sie war klein, schmal und gebrechlich und streichelte dem Toten liebevoll die Hand. Dann beugte sie sich über ihn und gab ihm einen Kuss auf die Stirn.
    Â»Ich bin bald bei dir, Liebling. Bald sind wir wieder zusammen«, sagte sie lächelnd, und ich wusste, dass wir alles richtig gemacht hatten.
    ***
    Dass schwer kranke oder verletzte Patienten bei uns in der Notaufnahme sterben, gehört leider zu meinem Alltag als Krankenschwester. Die Gründe, die zum Tode führen, liegen allerdings normalerweise außerhalb des Krankenhauses.
    Gar nicht alltäglich ist es daher, wenn das Schreckliche quasi in Sichtweite passiert und man beinahe zur Augenzeugin wird.
    Zuerst hörte ich nur einen lauten Knall, daraufhin dann ein entsetztes Schreien. Wenige Augenblicke später klopfte jemand hektisch an die Eingangstür der Notaufnahme. Ein aufgeregter Passant stand vor uns.
    Â»Kommen Sie schnell! Bei der Telefonzelle ist ein Unfall passiert! Sie müssen sofort mitkommen!«
    Die besagte Telefonzelle befindet sich keine 200 Meter von der Notaufnahme entfernt. Wer jedoch jemals in einem Krankenhaus gearbeitet hat, der weiß, dass man aus versicherungstechnischen und rechtlichen Gründen nicht einfach vor die Tür gehen darf. Wenn ich die Notaufnahme verlasse und während
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