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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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Hüte. Wie rührend, dass wir Menschen zuerst an Freunde und Familie denken, wenn wir plündern und klauen.
    Ich fuhr zurück, hielt mitten auf der Fahrbahn und überlegte, an welchem Haus ich sie bloß abgesetzt hatte. Obwohl es schon sehr spät war, hupte ich vor jeder Haustür, in der Hoffnung, dass sich in irgendeinem Fenster ein Kopf zeigen würde, eine winkende Hand vielleicht. Die Frau würde mehrere Stufen auf einmal nehmen, sie würde strahlend in die Hände klatschen und mir eine kleine Belohnung zukommen lassen.
    Tatsächlich trat bald die Frau mit ihrem blonden Haarturm aus einem der Häuser, sie kam auf hochhackigen Schuhen angelaufen und rief: Sie sind ein guter Mann!, wobei sie die Tür aufriss und sich ihre Tüten schnappte. Mein Mann kommt gleich, sagte sie, er gibt Ihnen einen Finderlohn, ganz bestimmt. Zee, rief sie dem Mann entgegen, der jetzt ebenfalls aus dem Haus trat, gib dem Fahrer hier ein Trinkgeld, und nicht zu knapp!
    Da trat der Mann an meinen Wagen und reichte mir einen großen Schein. Bevor ich die Scheibe hochkurbeln konnte, tippte er mir auf die Schulter und sagte: Warum arbeitest du nicht für jemanden wie mich, für einen, der sich dankbar erweisen kann?
    Was denn und wo, fragte ich.
    Genau hier. Du bleibst in deinem Auto, dein Auto ist dein Büro, du wirst mein Fahrer. Ich sitze hinten, genau wie vorhin, und sage dir, wohin die Reise geht. Nur ein paar Stunden am Tag, ich zahle gut dafür.
    Ist das irgendwie illegal, fragte ich.
    Irgendwie illegal, wiederholte er. Was ist schon legal, Kumpel. Was denn? Ist die Geschichte legal, war Vietnam legal? Was ist verdammt noch mal legal in unserem Universum? Ein Stern frisst den anderen, die Wölfe fressen die Schweine, und Rotkäppchen wird von ihrer eigenen Oma verarscht.
    Stimmt, sagte ich, legal ist eigentlich gar nichts.
    Genau. Gar nichts.
    Ich bin dabei, sagte ich.
    Komm am Montagabend. Acht Uhr. Hierher. Und zu meiner Überraschung verabschiedete er sich mit einem breiten Lachen und einem Faustschlag auf das eigene Herz.
    Ich fuhr eine Weile. Die Straßen waren nass, Pfützen schwollen unter den schweren Schritten der Fußgänger. Über einem Fischteich wirbelte Regen wie winzige, überirdisch glimmende Kiesel. Ich kreiste durch die Stadt, und das Universum wirbelte und zerbarst, und Staub und Flüssigkeit füllten die Leere, und das Universum kümmerte es nicht, ob ich rechts oder links fuhr, ob ich sein prähistorisches Funkeln betrachtete und seine Riesensterne. Ich fuhr durch diese überflutete Stadt des Nordens, ohne auch nur einen einzigen Kunden aufzugabeln. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass Matrosen und Männer ihres Schlags zu dieser Stunde an den Tresen hockten, wo sie tranken und Chips aßen, während Fliegenschwärme, kirre vom Duft gebratener Tiere, über kahlen Köpfen, verfilzten Perücken schwirrten. Da spürte ich, wie hungrig ich war, und hielt an einem Burger-Restaurant.
    Als Erstes ging ich aufs Klo. Ein Polizist plätscherte in das Wasserspiel aus weißem Porzellan. Ich wusch mir die Hände, spürte, dass er mich beobachtete, trat in eine Kabine und schloss ab. Der Staat, fürchtete ich, könnte mir einen Strafzettel verpassen, weil ich ein ungewaschenes Gesicht hatte, weil ich den Weg für die Herrschaften nicht frei gemacht hatte, weil ich zu viel Seife verwendet hatte, die ohnehin zur Bläschenbildung neigte und winzige Explosionen verursachte wie Schüsse, die Panik und Entsetzen auslösen könnten.
    Als er fort war, trat ich, während ich noch das richtige Loch im Gürtel suchte, aus der Kabine. Als ich fertig war, wusch ich mir noch einmal die Hände, es gelang mir, die meisten Bakterien abzutöten, doch ein paar entkommen wohl immer. Ich trat an den Schalter, bestellte ein Sandwich und einen Becher Kaffee und beschloss, auf den Berg zu fahren und nachzusehen, ob der Mond voll war oder leer.
    Vater
    Die Leere gibt es nicht, sagte die Bärtige Dame, die mich aufzog, als mein Vater verschwunden und meine Mutter gestorben war. Es gibt nur Bewegung, erklärte sie noch und schickte mich los, um den Eimer zu füllen und die Räder des Wohnwagens zu waschen.
    Dein Vater, sagte sie, kam mit einem Kamel über die Dünen, so ist er uns zuerst begegnet, er hatte Teppiche geladen und blaue Steine gegen den bösen Blick. Er war Kaufmann, und er liebte es zu fliegen. Deine Mutter war hingerissen, als sie ihn erblickte, die lebensrettende Oase seines Lächelns. Seine langen Wimpern kitzelten sie hinter dem Ohr.
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