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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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sie überheblich sind. Sie stecken das Rückgeld ein, und wir sind es so leid, uns Fenster an Fenster mit unseren Kollegen zu verabreden, Fünfziger an roten Ampeln hochzuhalten und zu rufen: Kannst du wechseln, Kumpel? Wir ärgern uns, wenn wir, nur weil wir kleine Scheine brauchen, an Tankstellen Schokoriegel und das Recht kaufen, uns das Gesicht in einem düsteren, schmutzigen Toilettenraum zu waschen, dessen nassen Boden ein Teppich aus Klopapierkringeln bedeckt, Konfettimatsch, wie er am Morgen nach dem Karnevalszug zusammengekehrt wird.
    Einmal nahm ich einen dürren Jungen mit, der in den Garage Club wollte. Den Club kannte ich, ich bin einmal drin gewesen, aber das ist eine andere Geschichte. Er zitterte und redete und hörte nicht auf, zu zittern und zu schniefen. Auf einmal verschwand er aus meinem Rückspiegel, er schien sich in Luft aufgelöst zu haben. Ich warf einen Blick hinunter in die Tiefen meines Boots, ich hatte mir gleich gedacht, dass ein Leichtmatrose wie er die raue See nicht vertragen würde. Da sah ich ihn – mit aufgezogener Spritze.
    An der ersten roten Ampel tauchte er ab.
    Ich blieb stehen und betrachtete ihn. Er hatte sich ganz klein gemacht, seine Hand hing über die Lehne des Beifahrersitzes. Hinter mir wurde gehupt und geschimpft. Aber es gibt Augenblicke im Leben, in denen man eine grüne Ampel ignorieren darf. Ich ging vor Anker, mein Boot lag ruhig. Das Hupen wurde immer lauter. Ich wartete, bis die Nadel die Vene fand, es wäre schade gewesen, den Stoff im Muskelfleisch zu verschwenden. Dieser Wasserleiche sollte es noch einmal gelingen, sich mit Präzision die Spritze zu setzen, sollte es schaffen und aussteigen und fliegen, tanzen, einen kurzen Augenblick lang sich selbst vergessen. Ich verurteile sie nicht, diese Menschen, die sich eine Spritze in den Arm rammen, um eine neue Welt unter ihrer Haut zu erschaffen, weil sie nicht träumen können. Mir selbst stehen andere Mittel zur Verfügung, um die Flucht zu arrangieren, das ist mein Glück. Wenn ich wollte, könnte ich zu jeder Zeit unter einer Brücke anlegen und mir wie ein Comic-Held den hautengen Anzug überstreifen, um über die Ruinen der Menschheit zu gleiten und das eigene Glück an der Hand zu führen.
    Heb das auf, sagte ich. Lass das Zeug nicht in meinem Wagen liegen. Zeig es mir, sagte ich.
    Das tat er, dann öffnete er die Tür und stieg aus. Er wankte zu einer Hauswand und versuchte, sie zu umarmen.
    Pistolen
    Es gibt eine bestimmte Art von Männern, vor denen sich ein Taxifahrer hüten muss: Es sind die Stillen, die auf schmalen Pfaden wandeln, die Verirrten und aus der Bahn Geworfenen. Sie erheben sich von den fleckigen Matratzen der Crackhäuser und Gefängniszellen, sie würgen und erbrechen sich, sie bringen Elend, Läuse, Dumpfheit.
    Gestern Abend habe ich ein Pärchen mitgenommen.
    Der Mann war offensichtlich ein mieses Arschloch. Seine Freundin hatte eine Menge Tüten dabei, Einkaufstüten. Sie redete ununterbrochen, er nickte nur gelegentlich, er sah mich über den Rückspiegel an, sah nach draußen, machte schließlich die Augen zu und ließ, weil seine Freundin unablässig jammerte, den Kopf hängen.
    Vollmond, sagte sie plötzlich. Baby, das sehen wir uns vom Dach aus an. Belanglosigkeiten über Freundinnen und Kleider folgten. Halt endlich die Klappe, sagte der Mann plötzlich, worauf sie ganz wild wurde und ihn mit dem Zeigefinger bedrohte. Als wir ankamen, gab er mir einen Schein und sagte: Stimmt so. Ich bedankte mich, was er kaum zur Kenntnis nahm. Zu cool, fand ich, zu reich, zu gönnerhaft, er tut, als würde er über allem stehen, über dem Gezicke seiner Frau und über dem Rückgeld.
    Ich fuhr weiter und sortierte die Geldscheine in meiner Tasche. Die großen zog ich heraus und steckte sie ins Handschuhfach. Die Münzen legte ich in ein Fach in der Mittelkonsole. Ich hasse es, wenn das Kleingeld in meiner Tasche klingelt. Es ist schwer und zieht mich herab, es erinnert mich daran, dass meine Schenkel noch viele Stunden in diesen Sitz gedrückt werden.
    Ein paar Straßen weiter entdeckte ich im Rückspiegel den oberen Bogen eines Griffs. Die Frau hatte ihre Tüten vergessen. Ich hielt an und sah nach, was sie eingekauft hatte. Alles war zu glitzerig und zu groß. Wäre meine Mutter noch am Leben gewesen, hätte ich ihr die glänzenden Kostüme für ihre Seilakte angeboten. Wenn es Pinky, den Clown, noch gäbe, hätte ich ihm die weiten Hosen vermacht, das schlabberige Hemd, die bunten
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