Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Titel: Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
Autoren: Franziska Steinhauer
Vom Netzwerk:
»Manchmal bleibt nur, das betroffene Gelenk auszutauschen.«
    Dr. Pankratz zog sich wieder Handschuhe über und blickte auffordernd in die Runde. »Na, wir sehen mal weiter!«
    Nachtigall unterdrückte gerade noch rechtzeitig den Impuls tief durchzuatmen, trat zur Seite und rief Wiener an, um ihm die Seriennummer des Gelenkersatzes durchzugeben, damit der junge Kollege in der Zwischenzeit auf der Station nachfragen konnte. Je schneller die Identität geklärt war, desto besser.
    »Zu Lebzeiten war der junge Mann etwa 1,79 bis 1,81 groß. Ernährungs- und Allgemeinzustand kann nicht mehr beurteilt werden«, schnarrte die Stimme des Rechtsmediziners und Nachtigall wandte sich widerstrebend erneut dem Obduktionstisch zu.
    Assoziationen zu einem Fall aus den letzten Jahren ließen sich nicht länger unterdrücken. Der ›Fall Dennis‹ hatte die ganze Stadt schockiert.
    Damals fand man in der Gefriertruhe der Familie die tiefgekühlte Leiche des kleinen Jungen. Die Eltern hatten ihn verhungern lassen und anschließend eingefroren. Das Verschwinden des Kindes fiel niemandem im Umfeld der Familie auf. Danach frühstückten Eltern, Brüder und Schwestern jeden Morgen neben der Leiche des Kindes. Ein unglaubliches Verbrechen.
    Nachtigall spürte noch heute heiße Wut darüber, dass ein Kind einfach verschwinden konnte, ohne dass es jemandem auffiel. Nicht einmal die Geschwister hatten es bemerkt.
    Jugendamt und Schulbehörde ließen sich von den Ausreden der Mutter abspeisen!
    In den vergangenen Jahren waren deutschlandweit deprimierend viele Babyleichen in Gefriertruhen entdeckt worden, einmal sogar von den eigenen Geschwistern, die während des Urlaubs der Eltern gründlich aufräumen wollten. Peter Nachtigall konnte sich allerdings nicht daran erinnern, je davon gehört zu haben, dass ein erwachsener Mann auf diese Weise versteckt worden wäre.
    Aber, tröstete er sich, der Unbekannte hier würde bald einen Namen und eine Geschichte bekommen. Und bestimmt hatte ihn auch jemand vermisst.
    Warum friert man einen Mann in einer Tiefkühltruhe ein – fast ein Vierteljahrhundert lang?
     
    Schritte hallten über den Gang.
    Dr. März’ unverkennbarer, energischer Tritt.
    Der Staatsanwalt hielt deutlichen Abstand zum Sektionstisch, sah dem Gerichtsmediziner unverwandt ins Gesicht und vermied auch nur ein kurzes Abschweifen des Blicks auf das Opfer. »Wissen Sie schon Genaueres über die Todesumstände?«
    »Nein, noch nicht. Bisher steht fest, es handelt sich um ein männliches Opfer.«
    »Und weiter? Sie werden doch schon ein wenig mehr zutage gefördert haben. Ich muss in einer Viertelstunde der Presse einige Fragen beantworten. Da kann ich nicht nur mit den Schultern zucken!«
    »Er hatte ein künstliches Kniegelenk. Wir haben herausgefunden, dass es 1988 ans Klinikum Cottbus geliefert wurde. Das spricht dafür, dass man es innerhalb eines überschaubaren Zeitraums implantierte. Der Zustand der Narbe lässt auf einen Todeszeitpunkt etwa drei Wochen nach der OP schließen. Alter zwischen 20 und 30, es gibt einige Hautveränderungen, die wir als Gefrierbrand identifizieren können.«
    Dr. Pankratz blieb gelassen. Der Ansturm der Journalisten war nicht sein Problem.
    »Gefrierbrand? Haha – kleiner Scherz, wie?«
    Nachtigall stieß dem Gerichtsmediziner warnend ans Schienbein.
    Dr. März wurde offenbar bewusst, dass Dr. Pankratz noch nie gescherzt hatte. In all den Jahren nicht. Seine Augen flackerten nervös über die Gesichter der Versammelten. »Also kein Scherz. Vor 20 Jahren eingefroren? Das ist Ihr Ernst!« Kurz danach schlug scheppernd die Tür des Gebäudes zu.
    »So, nun sind wir wieder unter uns!« Dr. Pankratz griff tatendurstig nach einem Skalpell, betrachtete es einen Moment kritisch, legte es zu den anderen Teilen des Sektionsbestecks zurück.
    »Ich verstehe nicht, warum jemand eine Leiche zwei Jahrzehnte lang einfriert und dann mit einem Mal beschließt, sie mitten auf einem Feld aufzustellen. Das ergibt doch keinen Sinn! Entweder will ich sie verschwinden lassen oder den Tod öffentlich machen«, meinte Nachtigall irritiert.
    »Vielleicht hat der Täter Besuch bekommen und brauchte den Platz in der Gefriertruhe, oder die Vögel mögen Leichen lieber, die vorher eingefroren waren«, feixte der junge Sektionsassistent, der offensichtlich über eine robuste Psyche verfügte.
    Der Hauptkommissar sah ihn gereizt an. »Das muss wohl nicht sein! Scherze sind an diesem Ort immer unpassend!«, wies er ihn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher