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Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall

Titel: Spielwiese: Peter Nachtigalls siebter Fall
Autoren: Franziska Steinhauer
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der Stich ging direkt ins Herz.«
    »Von vorn?«
    Nachtigall nickte.
    »Das ist doch ungewöhnlich, oder? Ich hätte angenommen, man sticht lieber von hinten zu. Wenn du direkt vor dem Opfer stehst, kann es dich viel leichter abwehren. Stell dir nur vor, wie wichtig es für den Täter in dieser Situation ist, das Messer genau zwischen der 5. und 6. Rippe hindurch zu rammen. Trifft er den Knochen wird die Klinge womöglich abgelenkt und es passiert gar nichts. Doch dadurch erhält das Opfer Gelegenheit zu erfolgreicher Gegenwehr«, überlegte Skorubski laut. »Im schlimmsten Fall – für den Mörder – entwindet es dir das Messer und der Angreifer wird selbst verletzt oder getötet.«
    »In diesem Fall nicht. Unser Opfer ging nach einer Knieoperation an Unterarmstützen. Es konnte sich nicht wehren.« Rasch fasste er für den Freund die bisherigen Ergebnisse der Obduktion zusammen.
    Michael Wiener stieß dazu, als Nachtigall gerade das Ende der Schilderung erreicht hatte.
    »Was? Eingefroren? Der ganze Mann? Komplett?«, fragte er aufgeregt.
    Nachtigall nickte nur.
    »Ich habe den Namen in Erfahrung gebracht. Das Opfer heißt Roland Keiser. Er litt unter starkem Rheuma. Als er vor ein Auto lief, entschied man sich, das Kniegelenk gleich auszutauschen. Eine komplette Heilung war wegen der bereits bestehenden Schädigung nicht möglich«, erzählte er etwas ruhiger.
    »Die Wunde war noch nicht gut verheilt, die Fadenreste ziemlich lang. Dr. Pankratz legt den Todeszeitraum auf zwei bis drei Wochen nach der OP fest.«
    »S’isch ja fascht ein ›cold case‹! Das Opfer scho’ lang’ tot, der Mörder wurd’ nie ermittelt un’ im wahrsten Sinne des Wortes cold war der Ermordete au no. Wer hat denn scho’ so eine große Kühltruhe?«
    »Es kann ja auch ein Kühlhaus gewesen sein. Jedenfalls war er durchgefroren, nicht nur kalt gelagert. Ich kann mich an keinen in meinem Bekanntenkreis erinnern, der so eine riesige Truhe hatte. Gab’s das überhaupt bei uns?«
    »Ja. Eine Freundin meiner Frau bekam so ein Ding über ein Versandhaus. Du weißt schon: Im Westen bestellt, in den Osten geliefert«, meldete sich Skorubski zu Wort.
    »Echt? Das ging?«, staunte Michael Wiener.
    »Klar.«
    »Hast du die Pressemitteilung rausgeschickt, den Zeugenaufruf?«, führte Nachtigall sie zu den aktuellen Themen zurück.
    »Steht morge’ in der lokale’ und überregionale’ Ausgabe. Auch Radio Cottbus sendet den Aufruf. Aber der Täter wird die Scheuche wohl nachts aufs Feld gebracht habe’. Ich denk’, es werde’ sich nicht viele Zeuge’ melde’.« Wie üblich schwankte Michael Wiener zwischen Dialekt und Hochdeutsch. Seiner Freundin Marnie zuliebe, die meinte, er solle sich sprachlich ans Brandenburgerische anpassen, versuchte er seit Monaten möglichst auf das Badische zu verzichten, was ihm jedoch nicht recht gelingen wollte. Besonders wenn er aufgeregt war, ging sein Dialekt mit ihm durch. Ein liebenswerter Zug, fand Nachtigall.
    »Mich verfolgt das immer noch. Als Vogelscheuche im Feld …«, murmelte Skorubski traurig.
    »Er wollte, dass wir die Leiche genau so finden. Entstellt, angefressen, einige Teile verschleppt. Der verwesende Körper an die Öffentlichkeit gezerrt. Sonst hätte er sie vergraben«, konstatierte Nachtigall.
    »S ’isch schon surreal. Eing’frore, aufg’taut, aufg’stellt.«
    »Der Täter ist das Risiko eingegangen, dass wir außer Knochen nichts mehr finden! Wäre diese junge Biologin nicht stutzig geworden, könnten die Tiere noch immer daran nagen und picken!«
    »Nein, Albrecht. Der Bauer hätte es bei seinem nächsten Besuch sicher bemerkt. Immerhin waren unglaublich viele Vögel dort.«
    »Wenn er wirklich wollte, dass der Tote gefunden wird, warum legt er ihn nicht vor dem Blechen Carré ab? Oder vor der Stadthalle? Da wäre er sofort gefunden worden!«, beharrte Skorubski.
    »Er wollte, dass Roland Keiser entdeckt wird – aber nicht selbst bemerkt werden. Wie könntest du an so belebten Stellen ungesehen eine Leiche ablegen? Er will ja nicht gefasst werden, sondern weitere Morde begehen! Michael, es muss eine Akte über Roland Keiser geben. Es wird ihn ja hoffentlich jemand als vermisst gemeldet haben. Schau doch im Archiv nach. Und dann müssen wir die Eltern informieren.«

6
    Hajo Mangold, ein gemütlicher Mensch mit ausgeprägten Beschützerinstinkten, lehnte sich auf seinem Schreibtischstuhl weit zurück, verschränkte die Arme im Nacken und seufzte zufrieden.
    Dresden,
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