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Spiel unter Freunden

Spiel unter Freunden

Titel: Spiel unter Freunden
Autoren: PJ Tracy
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ganz oben.
    Zu spät, um an
ihm vorbei zur Treppe zu rennen, aber Zeit genug, die Sig aus dem
Schulterhalfter zu ziehen und durchzuladen; Zeit genug, um zu
Annies Schreibtisch zu spurten, dahinter in Deckung zu gehen, die
Waffe fest in beide Hände zu nehmen und auf der glatten
Tischoberfläche in Anschlag zu bringen.
    Wenn du
schießt, besteht darin deine ganze Welt, hatte der Ausbilder
ihr immer wieder eingetrichtert. Die Hand, in der du die Waffe
hältst, dein Ziel und der Weg dazwischen. Sonst existiert
nichts. In
jener Welt hatte sie sich hundertmal befunden, tausendmal, hatte so
oft fünfzehn Schuss hintereinander abgefeuert, die auf der
Scheibe so dicht beieinander lagen, dass sich sämtliche
Einschusslöcher überlappten. Komischerweise hatte ihr der
ohrenbetäubende Lärm auf dem Schießstand die
einzigen Momente inneren Friedens beschert, wenn die Welt um sie
herum ihre Konturen verlor und schließlich ganz verschwand,
sodass nur noch der schmale, scharf ins Auge gefasste Weg
existierte, der ihre ganze Aufmerksamkeit verlangte.
    Sie spürte, wie
sich dieser Frieden auch jetzt einstellte, als sie den Druck auf
den Abzug langsam verstärkte und nichts sah als ihre Waffe und
das Gitter der Aufzugstür.
    Sie atmete durch die
Nase ein, nicht durch den Mund, und wartete mit makabrer Ruhe
darauf, zum ersten Mal einen Menschen zu töten.
 
    Als er bei Rot auf die
Hennepin abbog, fuhr Magozzi so schnell, dass der Ford mit dem Heck
ausbrach. Fußgänger und Radfahrer stoben vor den
heulenden Sirenen und quietschenden Reifen in alle Richtungen
auseinander. Gino saß auf dem Beifahrersitz, eine Hand auf
das Armaturenbrett gestützt, und brüllte die Adresse des
Lagerhauses in sein Sprechfunkgerät, orderte ein Team für
den Noteinsatz und zusätzliche Kräfte zur
Unterstützung, denn eine Beamtin werde vermisst.
    Sharon Mueller
antwortete nicht auf Funkrufe.  
    Der obere Teil des
Aufzugs wurde für Grace sichtbar, dann das Innere, und als er
auf derselben Höhe war wie der Fußboden des Lofts, kam
er mit einem Schlag zum Stehen.
    Mit ihm blieb auch
Graces Herz stehen und zerbrach gleich darauf in eine Million
Stücke. In ihren Ohren hörte sie es splittern, und sie
spürte, wie die vielen Teile von innen gegen ihre Rippen
prallten.
    Es war kein Killer im
Aufzug. Nur Mitch, der zusammengesackt an der Seitenwand lehnte und
mit blinden blauen Augen auf seine gespreizten Beine starrte. Der
Armani war von Blut besudelt. Die Seite seines Kopfes, die ihr
zugewandt war, existierte gar nicht mehr, war von innen nach
außen gekehrt, als habe ihm jemand das Ohr rausgerissen wie
einen Korken unter Druck, sodass sein wunderbares Hirn
herausspritzte.
    Nein, nein,
nein. Grace
spürte, dass ein klagender Schmerzensschrei aus ihr
hervorzubrechen drohte, und wusste, dass es ihr Ende bedeuten
würde, wenn sie das geschehen ließe.
    Sie wandte den Blick
ab von den verkrallten starken Händen, die sie so
zärtlich berührt hatten, von den toten Augen, die sie
einmal und für immer geliebt hatten, und sie spürte, wie
Hass sie erfüllte.
    Sie bewegte sich
leise, schnell und fast ohne dass ihre Stiefel über den Boden
kratzten, als sie um den Schreibtisch kroch, vorbei am Fahrstuhl
­ Nur
nicht hinsehen! ­ zur Treppe, den Arm
ausgestreckt mit der Waffe, die ihr den Weg wies.
    Die Tür
öffnete sich schnell, aber Grace war schneller: Auf ein Knie
gesunken, hielt sie den Atem an und verstärkte den Druck auf
den Abzug, bis sie das letzte Quäntchen Widerstand vor dem
Abfeuern spürte …
    … und dann trat
Diane zur Tür herein und erstarrte, als sie in die
Mündung von Graces Waffe blickte.
    Sie hatte einen dicken
Trainingsanzug an und trug ihre Laufschuhe. Eine Leinentasche hing
über ihrer Schulter. Ihr blondes Haar hatte sie zum
Pferdeschwanz hochgebunden, ihr Gesicht war gerötet und zu
einer angstvollen Grimasse verzerrt. «Ich … ich
… ich …» Grace sprang auf die Füße,
packte Dianes Arm und zerrte sie zur Wand. Unablässig richtete
sie dabei ihren Blick und ihre Waffe auf die Tür zum
Treppenhaus, die langsam zufiel.
    «Verdammt
nochmal, Diane …», zischte sie dicht an deren Ohr,
«… hast du einen von den anderen gesehen?
Harley?
    Roadrunner?
Annie?» Grace hatte das Gefühl, dass Diane, die ein
kehliges, aber durchdringendes Geräusch von sich gab, neben
ihr zusammenbrach. Eine Sekunde lang wandte sie den Blick von der
Tür und sah, dass Diane mit offenem Mund auf Mitchs Leiche im
Aufzug starrte und dabei sehr schnell
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