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Spiel unter Freunden

Spiel unter Freunden

Titel: Spiel unter Freunden
Autoren: PJ Tracy
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Revolvermündung, die hin und her schwankte.
    «Weiß ich
doch», wiederholte er, diesmal im Flüsterton, und als er
sich zu Roadrunner umdrehte, schluchzte er. «Er ist hier,
Roadrunner. Und Grace ist da oben allein.» Und dann
hörten sie, wie der Fahrstuhl losfuhr. Nach oben.
 
    «Grace!»
    «Magozzi, sind
Sie es?»
    «Vertrauen Sie
mir, Grace?» Er rannte durch das Großraumbüro,
wich den Schreibtischen aus, stieß jeden beiseite, der ihm in
die Quere kam, und hielt sein Handy so fest ans Ohr gedrückt,
dass es ihm noch tagelang wehtun würde.
    «Nein, ich
vertraue Ihnen nicht.»
    «Tun Sie es,
Grace. Denn davon hängt jetzt Ihr Leben ab.
    Also geht es nicht
anders. Der Killer ist in Ihrer Nähe. Hauen Sie ab!
Verschwinden Sie auf der Stelle von dort! Noch in dieser Sekunde
… so ein verfluchter gottverdammter Mist!»
    «Was?»
Hinter ihm rang Gino nach Luft.
    «Ich hab sie
verloren.»
    «Gottverdammter
Mist», fluchte Gino ebenfalls. Dann waren sie auch schon auf
dem Korridor, auf der Treppe nach unten, rasten zur Vordertür,
weil die näher an ihrem Wagen war, rannten die Moderatorin von
Channel 10 um, hätten beinahe auch eine Fernsehkamera mitsamt
Stativ umgerissen und stießen die Tür mit einem solchen
Schwung auf, dass Magozzi für einen kurzen Moment
fürchtete, die Scheibe würde zersplittern.
    In derselben Sekunde,
als sie unterbrochen wurden, hatte er schon die Wahlwiederholung
gedrückt, und bei Monkeewrench klingelte das Telefon, wieder
und wieder.
    Grace stand wie
angewurzelt an ihrem Schreibtisch, das Telefon ans Ohr gepresst,
die Augen vor Schreck weit aufgerissen und den Blick starr auf den
Lastenaufzug auf der anderen Seite des Lofts gerichtet. Sie
hörte, dass die Kabine nach oben kam, und sie konnte durch das
Holzgitter sehen, wie die Kabel sich bewegten.
   
     
    «Magozzi?»,
flüsterte sie hektisch ins Telefon und hörte nichts als
tödliche Stille.
    Vertrauen Sie mir,
Grace?
    Ihre Hand zitterte so
sehr, dass der Hörer auf der Tischplatte tanzte, als sie ihn
ablegen wollte.
    Der Killer ist in
ihrer Nähe! Hauen Sie ab! Verschwinden Sie auf der Stelle von
dort! Sie
hörte, wie ihr Herz schlug, als wolle es ihre Brust sprengen,
sie hörte das Summen der Computer und das selbstvergessene
Zwitschern eines Vogels vor dem Fenster. Aber lauter als alles
andere hörte sie den Lastenaufzug, der nach oben
kam.
    Lauf weg! Versteck
dich, verdammt! Sie ging hinter dem Schreibtisch
auf die Knie und befand sich blitzartig wieder in Georgia, vor zehn
Jahren in jenem Wandschrank, wo sie das tat, was FBI Special Agent
Libbie Herold ihr aufgetragen hatte.
    Auch damals hatte sie
ihr Herz schlagen hören, und es waren auch noch andere
Geräusche da gewesen: das flinke Patschen von Libbies nackten
Füßen auf dem Holzfußboden, die Zehen noch nass
von der Dusche; das Knarren einer Bohle auf dem Korridor; und
schließlich ein snick, snick aus der
Türöffnung zum Schlafzimmer. Durch die staubigen Lamellen
sah sie Libbies bloße Beine irgendwie schlotternd ins
Blickfeld kommen, und dann öffnete blitzendes Metall ihre
Oberschenkel zu zwei lächelnden Lippenpaaren, aus denen sich
Blut auf den Boden ergoss und eine große Lache bildete. Und
während all dessen hatte Grace nicht einen Laut von sich
gegeben, sondern nur mit vor Schreck geweiteten Augen in ihrem
lachhaften Versteck gekauert und darauf gewartet, dass sie an die
Reihe kam. Sie hatte nichts unternommen, um Libbie zu helfen, sie
hatte nichts getan, um sich zu retten. Nichts getan. Lauf weg und
versteck dich. Es war ein tief verwurzelter
Instinkt, der überdies so stark war, dass er im Bruchteil
einer Sekunde das strapaziöse und umfassende Training der
letzten zehn Jahre zunichte gemacht hatte. Die Kurse in
Selbstverteidigung, das Bodybuilding, die Schießübungen
­ all das erwies sich jetzt als nutzlos, denn Grace kauerte am
Boden, wie sie es vor zehn Jahren getan hatte, wartete, tat
nichts.
    Wie jedes Beutetier
versuchte sie, sich möglichst klein zu machen, presste die
Arme an den Körper, überkreuzte sie und spürte
plötzlich ihre Waffe. Ihr fiel wieder ein, wer sie
war.
    Was sie aus jenem
zerbrochenen jungen Mädchen im Wandschrank gemacht
hatte.
    Sie blickt über
die Schulter zum Fenster, das zur Feuerleiter führte. Noch
konnte sie es schaffen. Zum Fenster hinaus, die Leiter hinunter,
bis sie auf der Straße in Sicherheit war …
    Diesmal nicht. Sie
schloss ganz kurz die Augen und wandte sich dann wieder dem Aufzug
zu. Er war schon fast
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